Ich kann mich noch gut erinnern an das Jahr 2016. An einem milden Dienstagabend im August findet das traditionelle Abschlussrennen des Engadiner Bikecups beim Schiessplatz Muntarütsch statt. An diesem Abend gewinne ich mein erstes Rennen der regionalen Abendrennen-Serie. Ein wunderbares Gefühl, da ich somit auch die Gesamtwertung des Engadiner Bikecups gewinne. Der wohl grösste Erfolg meiner noch jungen Karriere. Von einer WM-Teilnahme wage ich damals noch nicht mal zu träumen.
3 Jahre später ist es soweit. Ich stehe vor meiner allerersten Weltmeisterschaft. Natürlich hat sich sehr viel verändert in diesen 3 Jahren. Ich konnte Erfolge feiern, mich weiterentwickeln und sehr viel lernen. Ich musste aber auch Tiefen durchleben und aus negativen Erlebnissen stärker werden – ein stetiger Lernprozess, der noch lange nicht zu Ende ist.
Es ist Sonntagmorgen. Nicht irgendein Sonntag, es ist Weltmeisterschaftssonntag. Um 7:00 klingelt der Wecker. Ich bin aber schon seit einer knappen Stunde wach und kann kaum erwarten, dass es endlich losgeht. Ich stehe auf und werfe wie immer erst mal einen Blick aus dem Fenster. Trocken und ein paar Wolken. Und es ist schon sehr viel los. Unsere Ferienwohnung ist nur einige hundert Meter vom Start entfernt. Auf der Strasse sind schon Betreuer und Fahrerinnen unterwegs. Die Frauen starten um 9 Uhr, die Männer um 10 Uhr. Helfer und Zivilschützer sind wie fleissige Bienen daran, die Gitter für den Start vorzubereiten. Schnell mache ich den Vorhang wieder zu und lasse die Ruhe nochmals ein bisschen auf mich wirken, bevor ich zum frühstücken gehe.
Es ist schon ein wenig verrückt, dass es nun doch noch funktioniert hat mit dieser WM-Quali. Klar habe ich in Alpnach schon ein wenig vom schlechten Wetter und vielen Aufgaben profitiert. Aber ich habe 10 Monate hart für dieses Ziel gearbeitet, Höhen und Tiefen durchlebt in dieser Saison. Somit ist es eine erarbeitete Belohnung für eine fordernde, aber sehr lehrreiche Saison – nicht mehr und nicht weniger. Und es macht mich endlos stolz, mit dem Schweizerkreuz auf der Brust mein Land an dieser Heim-WM zu vertreten. Was soll es Schöneres geben?
Nach dem Frühstück und den letzten Besprechungen lege ich mich nochmals kurz ins Bett. Die Anspannung ist langsam überall spürbar. Es ist alles bereit. Ich kenne die Abfahrten. Andrin Beeli und ich sind am Freitag und am Samstag alle langen Abfahrten abgefahren. Wir haben ein komplett durchgeplantes Supportkonzept und eine vierköpfige, sehr professionelle und kompetente Supportcrew, bestehend aus den Eltern von Andrin und meinen Eltern.
Dann ist es endlich soweit. Es ist 9:15 und wir machen uns auf den Weg zum Einfahren. Knapp 30 Minuten, dann schliessen die Startboxen. Es folgt das Call-Up und um kurz vor 10:00 stehen alle 185 Fahrer bereit. Es hat viele Zuschauer und es ist sehr laut. Es erfolgt der Startschuss und ich bin komplett im Tunnel. Nach einige hektischen Momenten geht es schon ziemlich bald bergauf und das Feld zieht sich in die Länge. Ich versuche, eine möglichst gute Position für die erste Traileinfahrt zu erkämpfen. Doch ich bin nicht der einzige, der das will. Als es dann nach knapp 10 Minuten in den ersten schmalen Singletrail geht, staut es sich zum ersten Mal. Es wird sich in einer 1-Mann-Kollonne eingereiht und das Tempo vom Vordermann übernommen. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass das Tempo jetzt ein wenig gedrosselt wird. Meine Lunge brennt schon ordentlich nach diesem schnellen Start. Etwas aussergewöhnlich, habe ich doch sonst sehr selten Probleme was das angeht. «Jetzt folgt dann aber erst mal eine lange Abfahrt, da werde ich mich schon erholen können». Nach einer kurzen Passage durch Grächen und einem Vorgeschmack auf das, was mich wohl auf den nächsten gut 90 Kilometer an Publikum und Anfeuerung erwarten wird, geht es in die besagte, sich endlos anfühlende Abfahrt runter nach Kalpetran. Wie erwartet, ist es extrem staubig, was sich einerseits auf die Sicht, aber vor allem auch auf die Atmung auswirkt, wie ich später noch merken werde. Überholen ist hier grösstenteils nicht möglich und so bleibt nichts anderes, als das Tempo des Vordermanns zu übernehmen. Ich könnte schneller fahren, aber so kann ich das Risiko, einen Defekt einzufahren, möglichst klein halten. Immer wieder stehen Fahrer am Streckenrad, welche dabei sind einen technischen Defekt zu beheben. Bei mir geht alles gut. Ich erreiche die erste Tech/Feed-Zone. Es ist sehr unübersichtlich. Auf beiden Seiten stehen dutzende Betreuer und jeder scheint zu versuchen, ein bisschen weiter in der Strecke zu stehen, als der vor ihm. Trotzdem funktioniert es, dass ich meine Flasche erhalte und ich kann mich gut verpflegen. Es ist schwer zu sagen, an welcher Position ich mich befinde, aber ich führe derweil eine grosse Gruppe mit rund 20 Fahrern an. Schnell beschliesse ich aber, im kurzen flacheren Teil von der Gruppenstärke zu profitieren und ich verstecke mich im Windschatten. Als es wieder schmaler wird und steiler berghoch geht, zieht sich die Gruppe wieder auseinander und ich gerate in den hinteren Teil. Meine schlechte Positionierung wirkt sich aber nicht gross aus, denn jetzt beginnt der über 10 Kilometer lange Aufstieg hoch nach Stalden.
Am Fuss der Steigung sind wiederum sehr viele Zuschauer, die richtig Stimmung machen. Mit dabei auch Kilian, Lena , Madlaina, Lars und Corina, was mich natürlich mega freut. Ich habe mir vorgenommen, diesen Aufstieg mein Tempo zu fahren. Ich weiss, dass mir lange gleichmässige Aufstiege liegen und so kann ich hier Rang für Rang gutmachen. Ich fühle mich sehr gut und fahre ein Tempo, dass ich über mehrere Stunden halten könnte. Am Ende des Asphaltteils der Steigung liegt ein kleines Dorf und schon von weitem hört man, dass hier mindestens zehn Mal so viele Leute sein müssen, wie das Dorf wohl normalerweise an Einwohner zählt. Da stehen wahrscheinlich an die 100 Leute, mit Fahnen und Kuhglocken, die im Chor «Hopp Schwiiz,Hopp Schwiiz» schreien. Ich bekomme wirklich Gänsehaut, denn ich weiss, dass die alle mich anfeuern, um mich herum sind nämlich gerade keine anderen Schweizer. Klar, solche Bilder sieht man immer wieder bei der Tour de France oder beim Weltcup auf der Lenzerheide. Aber für mich ist das etwas völlig Neues und dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Es gibt wirklich einen Energieschub, den ich gerade nutze, um in der folgenden Abfahrt zwei Fahrer zu überholen, bevor es in eine Laufpassage übergeht. In der Laufpassage kann ich weitere zwei Fahrer überholen, bevor es nach ein paar steilen Rampen nach Visperterminen und zur zweiten Verpflegung geht.
Nach dem Rennen erst erfahre ich, dass es um ein Haar nicht aufgegangen wäre bei dieser Verpflegung. Die einzige Strasse, welche von Grächen nach Visperterminen führt, war zeitweise gesperrt, weil sie vom Rennen gekreuzt wurde. So standen Rolf und Daniela im Stau und es zeichnete sich ab, dass es zeitlich nicht reichen würde. Kurzerhand hat Rolf die Ersatzräder und die Flaschen geschnappt und ist mehrere hundert Meter die Strasse runter gerannt, hat einen wildfremden Walliser angehalten, der mit dem Auto in Richtung Zermatt unterwegs war und ihn gefragt, ob er ihn nach Visperterminen fahren könnte. Der sehr freundliche Walliser willigte ein, und so ging für uns dennoch alles gut.
Ohne von dem ganzen irgendwas mitgekriegt zu haben, fahre ich also in Richtung Visperterminen. Auch hier ist die Stimmung wieder unglaublich und es macht einfach nur Spass, durch die engen Gassen, um die scharfen Ecken und über die steilen Treppen dieses Dörfchens zu fahren - immer mit «Hopp Schwiiz» rufen im Ohr. Und da steht dann auch schon Rolf und reicht mir die Flasche, was für mich in dem Moment selbstverständlich ist, war ja so besprochen. Es geht weiter in die lange Abfahrt in Richtung Visp. Auch hier gelingt es mir, mehrere Fahrer zu überholen und ich komme eigentlich nicht schlecht mit dem lockeren und sandigen Untergrund zu recht. Jetzt folgen ein paar flache Kilometer, die ich zusammen mit einem deutschen Fahrer in Angriff nehme. Wir arbeiten gut zusammen und können schon bald zu Sebastian Breuer aufschliessen, den ich schon von verschiedenen anderen Rennen kenne. Zu dritt nehmen wir Kurs auf die dritte Verpflegung und fahren zusammen in den nächsten langen Anstieg hoch nach Törbel. Auch hier warten wieder mehrere hundert Höhenmeter auf uns. Das Rennen geht noch gut 40 Kilometer, aber es stehen noch zwei sehr lange Aufstiege an. Ich kann anfangs wieder an das sehr gute Tempo vom ersten Aufstieg anknüpfen, doch nach ein paar Minuten macht sich ein mir bereits bekanntes Gefühl bemerkbar: ich bekomme immer weniger Luft mit atmen, der Puls sinkt in den Keller und ich muss die anderen Fahrer ziehen lassen. Es ist ziemlich ähnlich wie anfangs Saison im Südtirol. Ich hatte dann im Juni mehrere Untersuchungen, die sowohl Leistungsasthma als auch normales Asthma zeigten. Seither hatte ich aber keine Beschwerden mehr, und so kommt das schon ein bisschen überraschend. Womöglich werden diese Atemprobleme begünstig durch den vielen Staub in der Luft. Doch ich hoffe sehr, dass es nach der langen Abfahrt von Törbel nach Kalpetran wieder besser wird, denn so war es im Südtirol im Juni auch. So beschliesse ich, einfach mein Tempo weiterzufahren, um irgendwie den Anstieg durchzubringen.
Doch der Anstieg zieht sich. Einen Fahrer nach dem anderen muss ich ziehen lassen, immer mit dem Wissen, dass ich die Beine dazu hätte, mitzufahren aber meine Atmung mich ausbremst. Ein sehr unangenehmes Gefühl. Es wird je länger je mehr auch zur mentalen Herausforderung. Doch ich versuche immer noch daran zu glauben, dass es vor dem letzten langen Anstieg nochmals besser wird. Einige Kilometer vor Törbel merke ich, dass nicht nur ich keine Luft mehr habe, sondern auch mein Hinterrad. Ich muss wohl irgendwo ein Loch geholt haben, durch das aber nur sehr langsam Luft entweicht. Im malerischen Törbel fahren wir einmal durchs ganze Dorf. Auch hier geht es wieder durch steile und schmale Gassen und um scharfe Ecken. In der Tech- und Feedzone pumpe ich ein wenig Luft in mein Hinterrad und erkläre Daniela, was das Problem ist. «Probiersch eifach no fertig z fahre».
Es geht in die Abfahrt, zuerst schnell auf Forststrassen, dann in den Singletrail. Auch auf diesem Trail kann ich, trotz meiner aktuellen Verfassung, andere Fahrer überholen. Auch wenn ich weiss, dass die mich wieder einholen werden, tut es irgendwie gut. Immerhin die Abfahrten laufen richtig rund.
In Kalpetran folgt dann bereits die nächste Tech- und Feedzone und ich kann nun auch meinen Eltern klarmachen, was läuft. Aber ich will weiterfahren. Die nächsten Kilometer ziehen sich in die Länge. Es geht immer ein bisschen hoch und runter und ich merke, wie mein Körper langsam am Limit ist. Die Lunge brennt, der Kopf beginnt zu schmerzen, mir ist schlecht und ich mag nichts mehr essen. In St.Niklaus wartet die letzte Feedzone. Da mein Hinterrad weiter Luft verliert, entscheide ich mich, dieses hier zu wechseln. Und als käme es noch auf jede Sekunde an, schafft es Rolf in knapp 40 Sekunden, mein Hinterrad zu wechseln. Eine längere Verschnaufpause wäre mir in dem Moment fast lieber gewesen, aber so mache ich mich auf die letzten 15 Kilometer, auf denen auch nochmals rund 750 Höhenmeter warten. Es wird nicht besser auf diesen 15 Kilometern.
Wir springen auf die Schlussrunde: die letzten 8 Kilometer und noch etwa 200 Höhenmeter. Ich schaffe es nicht mehr, gerade hoch zu fahren. Komplett am Limit kämpfe ich mich die letzten Meter hoch. Über 10 Monate habe ich daran gearbeitet, hier starten zu können. Ich probiere, an diese 10 Monate zurück zu denken. An die vielen Langlauftrainings im Winter. An die Trainingslager in Spanien und Italien. Die vielen Rennen, die ich dieses Jahr wieder gefahren bin. Aber auch die Situation, als ich beim Radmarathon einem kleinen Jungen mein erstes Autogramm auf den Helm gegeben habe. An den 1. August in Maloja, wo ich die Ansprache zum Nationalfeiertag halten durfte. Es ist so vieles passiert in diesem Jahr und ich habe mich enorm weiterentwickeln können. Manchmal fehlte fast ein wenig die Zeit, all das zu verarbeiten. Ich kämpfe weiter. Noch 5 Kilometer bis ins Ziel. Davon geht es vielleicht noch 1 Kilometer bergauf. Ich bin nun am Punkt, wo ich mit laufen wahrscheinlich gleich schnell wäre. Und irgendwann erreiche ich den Punkt, wo es flacher wird. Was passiert gleich mit mir, wenn ich ins Ziel komme? Ich habe ehrlich gesagt fast ein wenig Angst vor diesem Moment, weil ich weiss, dass die gesamte Spannung wegfallen wird. Was passiert dann? Aber egal, einfach weiter! Es sind die letzten Kilometer der Saison. Über 1600 Rennkilometer habe ich dieses Jahr in den Beinen und die letzten sind wahrscheinlich mit die härtesten. Irgendwann geht es dann runter und ich weiss nun, dass ich es schaffen werde. 1 Kilometer vor dem Ziel geht es nochmals kurz berghoch, aber das schaffe ich nicht mehr. Ich muss vom Rad steigen und diese paar Meter hochschieben. Und dann ist es so weit, ich erreiche Grächen und somit die allerletzten Meter. Die Ziellinie ist erreicht und wie erwartet, breche ich mehr oder weniger zusammen. Minuten lang kann ich nicht anders, als auf dem Boden zu liegen. Ich beginne zu weinen. Einerseits die Anstrengung, die Schmerzen und andererseits die Erleichterung. Ich habe es geschafft. Kein DNF. Der Kopf hat gesiegt.
War es schlau, das durchzubringen? Diese Frage stelle ich mir schon. Klar, jetzt ist alles gut gegangen und so ist es einfach ein Ergebnis von mentaler Stärke und Willenskraft. Aber wenn irgendwas passiert ist es eine andere Geschichte. Mein Körpergefühl hat mich bis jetzt sehr sehr selten getäuscht, und irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, aus gesundheitlichen Gründen aufgeben zu müssen, wenn es vielleicht auch berechtigt gewesen wäre.
Wie aus jedem Rennen, werde ich auch aus diesem meine Erfahrungen und Lehren ziehen. Aber eins steht fest: dieses Erlebnis werde ich nie vergessen. Eine WM vor Heimpublikum, das ist einfach unglaublich und unbeschreiblich. An dieser Stelle auch ein grosser und spezieller Dank an die Familie Beeli, mit der wir dieses unvergessliche Wochenende verbringen durften.
Die Saison ist vorbei. Jetzt geniesse ich die «Offseason», den schönen Herbst – und mein Studentenleben. Denn schon in einigen Wochen werden die Segel in Richtung 2020 gerichtet. Ich bin jetzt schon sehr motiviert. An dieser Stelle möchte ich all meinen Sponsoren und Gönnern danken, besonders meiner Familie. Und ich möchte auf meinen Gönnerclub verweisen. Mit CHF 50.- ist es jedem und jeder (auch Familien) möglich, mich zu unterstützen. Über meine Zukunft werde ich baldmöglichst informieren, aber auf finanzielle Hilfe, werde ich auch in Zukunft angewiesen sein 😉. Ich freue mich über jede Anmeldung. (Hier geht’s direkt zur Online-Anmeldung).
Sportliche Grüsse,
Euer Fadri.
Die WM-Qualifikation war diese Saison immer wieder ein angestrebtes Ziel, zum Beispiel in Cambrils, Singen und Montafon. Jedes dieser Rennen schrieb seine eigene Geschichte, doch es wollte leider nie aufgehen. Eine Chance blieb aber noch: die O-Tour am 8. September in Alpnach. Dieses Rennen ist zugleich auch die Schweizer Meisterschaft und demnach ist eine starke Besetzung zu erwarten. Trotzdem rechne ich mir Chancen auf eine Top-20-Platzierung und somit der WM-Quali aus, auch wenn dafür vieles zusammenpassen muss. Einige Tage vorher fahre ich mit Andrin Beeli die Strecke ab, um zu wissen, was mich erwartet. Die Strecke enthält zwei lange Aufstiege mit relativ viel Asphaltanteil. Die Abfahrten sind, bis auf ein paar Stellen, relativ einfach zu fahren. Mit 86 Kilometern und 3000 Höhenmeter gehört dieses Rennen definitiv zu den leichteren, die ich dieses Jahr gefahren bin. Wie in den vergangenen Jahren reisen wir bereits am Samstag an und dürfen bei Urs und seiner Familie gastieren. Seit diesem Jahr unterstützt mich Urs mit seinem Malergeschäft «Schwarzenberger GmbH» auch finanziell. Beim Abendessen ist die ziemlich miese Wettervorhersage Gesprächsthema Nummer eins und ich habe definitiv Respekt davor. In Montafon habe ich sehr schlechte Erfahrungen mit einem Wetterumsturz gemacht. Ich werde mich also so anziehen, dass ich möglichst lange warm und trocken bin.
Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Ein Blick aus dem Fenster reicht und ich weiss: die Wettervorhersagen haben nicht zu viel versprochen. Es schüttet wie aus Eimern. Schnell schliesse ich den Vorhang wieder und esse mein Frühstück. Nachdem ich mich nochmals kurz hingelegt habe, geht es ans anziehen. Was sonst oft ohne gross zu überlegen abläuft, ist heute einiges komplizierter. Ich bin noch nicht viele Rennen bei solch nassen und vor allem kalten Bedingungen gefahren, und so muss ich auch hier noch Erfahrungen sammeln und dazulernen. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Haus verlasse, bin ich mir aber sicher und stehe voll dahinter. Ich möchte mich nicht durch andere Fahrer oder durch die Tatsache, dass andere Fahrer anders gekleidet an den Start gehen, beunruhigen und aus der Konzentration bringen lassen. Nach dem Einfahren auf der Rolle in der Tiefgarage von Urs geht es um 8:00 los zu meiner allerersten Schweizermeisterschaft auf dem Mountainbike.
Es geht nur wenige hundert Meter nach dem Start bergauf, und so zieht sich das Feld schnell auseinander. An der Spitze wird schon bald mal relativ schnell gefahren, und so entscheide ich mich bereits nach rund 10 Minuten dafür, die Spitzengruppe ziehen zu lassen. Es dauert nicht lange, bis ich komplett alleine unterwegs bin. Eine Situation, die ich zu dem Zeitpunkt nicht ungern habe. Ich kann mein Tempo fahren, ohne mich von anderen Fahrern ablenken zulassen. Und es geht auch nicht lange, bis ich erste Fahrer aus der Spitzengruppe wieder ein- und überhole. Die letzten Meter des ersten Aufstiegs führen auf dem alten Polenweg in einigen Serpentinen den Berg hoch. Erst da muss ich noch zwei weitere Fahrer vorbeziehen lassen und kurz anhalten, um vor der Abfahrt die Jacke zu schliessen. Der Regen ist inzwischen zu Schnee übergegangen und es bläst ein eisiger Wind. Auf dem technischen Abschnitt der Abfahrt ist dies noch einigermassen erträglich, aber spätestens als es auf die schnellere Forststrasse geht, wird es ziemlich widerlich. Der Boden ist an vielen Stellen so nass, dass das kalte Wasser auch von unten überall hin spritzt. Ich bin geschätzt an 30. Position (was nicht ganz stimmt, ich gehe aber etwa davon aus). Ich beginne, trotz Winterhandschuhen an den Händen zu frieren und versuche mich auch in den Abfahrten mit schnellen Pedalumdrehungen warm zu halten. Irgendwann fahren zwei Fahrer von hinten heran, an denen ich mich irgendwie knapp halten kann. Die Kälte ist aber schier unerträglich, und so spiele ich mit dem Gedanken, am Langis bei Kilometer 25 auszusteigen. Ich versuche den Gedanken aber schnell wieder zu begraben und mache mir die erste Verpflegung beim Langis als Zwischenziel aus. Bis kurz vor Beginn der Tech- und Feedzone kann ich mit den anderen zwei Fahrern mithalten. Ich wähle aber an einer Stelle die falsche Linie und mein Vorderrad bleibt in einem Schlammloch stecken und ich steige über den Lenker ab. Auf der komplett durchnässten Wiese lande ich aber ziemlich weich und so passiert mir nichts. Als ich in der Verpflegung kurz anhalte, um eine Regenjacke drüber zu ziehen fährt Norbi an mir vorbei. Die Fun Fahrer, zu denen Norbert Amgarten gehört, starten bei der O-Tour jeweils eine Minute später. Ich weiss sofort, dass ich ihn möglichst schnell wieder einholen muss, um von ihm profitieren zu können. Dies gelingt mir nach wenigen hundert Metern und ich habe mit einem Local wohl eines der besten Hinterräder für die kommenden Abschnitte vor mir. Es dauert auch nicht lange, bis wir die zwei Fahrer vor uns einholen, als diese sich an einer Weggabelung nicht sicher sind, wo es lang geht. Zu viert fahren wir also weiter und ich weiss, dass ich Norbis Hinterrad in dieser Abfahrt nicht verlieren sollte. Das gelingt mir auch, und so kann ich die Abfahrt auf Singletrail und schnellen Forststrassen gut und sicher runterfahren. Einzig das Schalten funktioniert nicht mehr ganz so gut. Durch die Kälte kann ich meine Finger nicht mehr so gut gebrauchen und Schalten oder das Blockieren der Gabel funktioniert nur mit grosser Mühe. Auf dem Langis habe ich entschieden, mal bis runter nach Alpnach zu fahren und da wieder zu entscheiden. Ich merke aber, dass der Regen langsam nachlässt und dass es immer wärmer wird, je weiter wir runterfahren. In Alpnach passieren wir Start/Ziel und ich kann nach wie vor nicht genau sagen, an wievielter Position ich mich befinde. Aber jetzt ist für mich klar, dass ich weiterfahre. Die Hälfte ist geschafft und das Wetter scheint ein bisschen besser zu werden.
Zusammen mit Norbi und Andreas Kleiber mache ich mich auf die paar flachen Kilometer, am Flugplatz vorbei auf die andere Talseite. Wir lösen uns gut ab und nutzen diesen Abschnitt, um uns nochmals zu verpflegen. Als es dann in die Steigung zum Ächerlipass geht, können Norbi und ich Kleiber ein wenig distanzieren und ich finde schnell einen guten Rhythmus. Endlich hat auch das Frieren ein Ende und ich bekomme langsam wieder warm. Erst nach gut 20 Minuten im zweiten Anstieg erfahre ich bei der Verpflegung, dass ich mich auf Rang 17 befinde. Ich bin ein wenig überrascht, aber umso motivierter, das jetzt nachhause zu bringen. «Mer helfed üs gegesitig biz, denn bringemer das hei!», meint Norbi. Er hat heute die Möglichkeit, seinen Vorsprung bei den Fun-Fahrern zu vergrössern und sein Heimrennen zu gewinnen. Und für die Abfahrt vom Ächerli kann ich sicher wieder von ihm und seinen Ortskenntnissen profitieren.
Irgendwann sehe ich aber, dass hinter uns drei Fahrer langsam näherkommen. Ich kann noch ein bisschen schneller fahren, und so muss ich das in dieser Situation auch tun, auch wenn ich somit auch Norbi bisschen distanzieren muss. Ich möchte eine möglichst komfortable Situation in die Abfahrt bringen. Vor mir erkenne ich einen weiteren Fahrer, den ich ein- und überholen kann. Nun bin ich also an Position 16. Gerade, als ich den höchsten Punkt des Aufstiegs erreiche, schliessen zwei Fahrer von hinten auf. Einen von ihnen muss ich ziehen lassen, den anderen kann ich in den etwas technischeren Abschnitten distanzieren. So befinde ich mich nun also auf Rang 17, das Rennen ist aber noch nicht zu Ende. Ich kann zwar zeitweise sehen, dass der Fahrer vor mir nicht allzu weit entfernt ist, bemerke aber auch, dass nur wenig hinter mir wieder zwei Fahrer sind. Einer ist der, den ich im Aufstieg noch überholt habe, der andere ist Norbi. Ich versuche das Tempo hoch zu halten und so die anderen Fahrer auch ein wenig unter Druck zu setzen. Nach der letzten Verpflegung – inzwischen ist der eine Fahrer wieder herangefahren – setze ich zur Attacke an und kann ihn ein bisschen distanzieren. Nun geht es noch einen technischen Singletrail hinunter und dann nur noch ein paar flache Kilometer bis ins Ziel. Jetzt einfach konzentriert bleiben. Der Trail ist wahrscheinlich der technisch anspruchsvollste des gesamten Rennens. Und kurz vor dem Ende verliere ich ein wenig die Kontrolle und stürze. In dem Moment zieht der andere Fahrer an mir vorbei. Ich bin schnell wieder auf dem Bike und fahre den letzten Teil des Trails sicher herunter. Unten möchte ich meinen Schuh, der beim Sturz aufgegangen ist, schliessen, da realisiere ich, dass der Schuh gar nicht aufgegangen, sondern kaputt gegangen ist. Auch mein Hinterrad hat beim Sturz ziemlich gelitten. Ich kann aber weiterfahren und realisiere nun langsam, dass ich mit grosser Wahrscheinlichkeit diesen 17.Rang (resp. Rang 18, da Norbi 1 Minute nach mir startete) ins Ziel bringen werde. Es geht nun von allein. Mir geht so vieles durch den Kopf. Das Rennen in Cambrils, bei dem ich auf staubige und harte Art und Weise realisieren musste, dass mir definitiv noch Velokilometer fehlen. Ich denke an das Rennen in Singen, bei dem ich nach der ersten Runde durch einen aufkommenden Infekt ausgebremst wurde oder an das extreme Rennen in Montafon. Ich denke an die vielen intensiven und harten Trainings, bei denen nicht selten die Weltmeisterschafts-Qualifikation als Motivation bestand. Ich denke an meine Oma, weil ich genau weiss, dass sie zuhause sitzt und mitfiebert. All diese Gedanken schiessen mir durch den Kopf, als ich die letzten flachen Kilometer in Richtung Ziel fahre.
Beflügelt davon kann ich sogar den Fahrer, der mich bei meinem Sturz überholt hat, nochmals ein und überholen. Ich überquere die Ziellinie und somit ist es klar: Rang 18 (später Rang 17, weil ein Fahrer gewertet wurde, der das Rennen aufgegeben hatte.) Die WM-Quali ist geschafft. Doch nun heisst es erst mal warm anziehen und bei einer warmen Dusche wieder auftauen und sauber werden.
Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die das möglich gemacht haben. Ganz besonders gilt dieser Dank meiner Familie. Sie stehen immer hinter mir und halten mir den Rücken frei.
Nur einige Stunden nach diesem unglaublichen Rennen starte ich in einen neuen Lebensabschnitt: ich beginne mein Multimedia Production Studium an der FHGR in Chur. Doch ich weiss jetzt schon, dass ich die nächsten 2 Wochen mit meinen Gedanken das eine oder andere Mal wo anders sein werde...
Das Swissepic ist zwar schon ein paar Tage her, aber die Erinnerungen sind noch sehr präsent. Während der Woche hat Lars jeweils kleine Berichte geschrieben. Diese Sammlung seiner Gedanken ist hier zu finden. Viel Spass!
05:45 Uhr wir sitzen beim Frühstück und draußen prasselt der Regen nur so vom Himmel. Die Vorhersage hat nicht gelogen, der gesamte morgen soll verregnet sein.
07:00 Uhr, wir verabschieden uns von den Großeltern von Fadri die uns herzlichst aufgenommen hatten. Die Riderbag auf den Rücken geworfen und auf geht’s zum Start. Fadri merkt das erste Mal, was es heißt mit 20kg mehr unterwegs zu sein 😉
Taschen abgeben, noch mal die Nervosität zur Toilette bringen und dann stehen wir auch schon im UCI Startblock. Neben uns die Profis, Cape Epic Gewinnerinnen und mitten drin Fadri und ich. Auf meiner Rückennummer steht NEWBIE und so fühle ich mich auch ein bisschen zwischen den ganzen Cracks. Mein drittes Mountainbikerennen - Startsignal - auf geht’s. Wir jagen über die Straßen Davos Richtung des ersten Schotterweges. Positionieren uns ganz ordentlich in einen der vorderen Gruppen, haben unser Tempo gefunden und fahren mit. Nach einer Weile in einem kleinen Anstieg, fällt mir die Kette beim Schalten runter, kurz anhalten alles wieder richten. Nun sind wir alleine, mussten unsere Gruppe ziehen lassen. Ich fixiere das Hinterrad von Fadri und wir fahren ein gutes Tempo, sammeln ein Team ein, das von vorne zurückfällt.
Nun der Albulapass, erst auf einem Waldweg, später auf der Straße bis nach oben. Extrem steile Stücke, matschige Passagen die Räder drehen durch und ich merke, dass ich das fette Glied an der Kette bin. Fadri kann recht entspannt fahren, während ich mein Systemgewicht den Berg hochschleppe. Von hinten kommen einige Teams die wir passieren lassen müssen, Fadri könnte mitfahren, was für mich nicht möglich ist. Der zweite Wasserpunkt ist in Sicht, ich darf vorbei fahren und habe meinen persönlichen Waterboy, dass erste Mal, dass Fadri eine Zeitlang sein Tempo fahren kann, muss er doch die Lücke zu mir schließen.
Albula ist geschafft, jetzt noch einen schicken Trail runter, dann bisschen in der Ebene drücken und dann kommt das Ziel. Wir sind um Position 22-24.
Knappe Hälfte ist geschafft, der Trail ist gute 15 km lang, verliere ich Luft am Hinterrad, normalerweise schnell behoben. Kurz eine Kautschukwurst ins Loch drücken, bisschen pumpen und weiter. Doch das Loch sitzt genau an einer Profilnoppe, wir versuchen es trotzdem, es hält nicht. 500m weiter entscheiden wir uns einen Schlauch einzuziehen, der erste verliert auch direkt Luft. Also wieder Reifen runter neuen Schlauch rein, Reifen wieder rauf und Pumpen. Mittlerweile haben uns einige Teams überholt, bisschen Frust ist dabei. Auf geht’s, aufs Rad gesprungen und Druck machen, keine 300m weiter sitze ich mit dem Reifen wieder auf der Felge. Schläuche haben wir nicht mehr, also gibt es keine andere Option als auf der Felge den halben Trail runter Bolzen und in der Ebene bis zum nächsten Service Point fahren. Knappe 10 km sind es noch, Fadri schiebt mich, damit wir ein wenig schneller sind. Ich drifte in den Kurven wie Walter Röhr in seinen besten Tagen. Samedan, Heimatort von Fadri, endlich der Service Point. Rad abgeben, Mechaniker arbeiten lassen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, es haben uns weitere Teams passiert, können wir endlich los. Mit Frust im Bauch machen wir uns auf, wenigstens noch ein bisschen Zeit und Plätze gut zu machen. Letzten 10km wir kämpfen uns durch die Ebene, Fadri macht jetzt auch richtig Druck, meine Zunge hängt aus dem Mund, Puls geht nach 4:30 Std immer noch Richtung 170 (sehr hoch für mich) und ich beiße um an ihm dran zu bleiben. Die Zielkurve, die Uhr ist bei knapp über 5:14 Std, mein Tacho zeigt die Zeit ohne Pause und ist bei 4:42 Std., über eine halbe Stunde haben wir mit allem liegen lassen. Von der Service Station bis ins Ziel sind wir die Tages schnellsten und haben nochmal gut 12 Plätze gut machen können. Dennoch reicht es nur zum 60ten nach der ersten Etappe anstatt einer Platzierung unter den Top 25. Gesamtklassement ist gelaufen, es zählt nur noch jeden Tag alles aus einem rausholen, Fadri auch mal ab und an ein bisschen zu fordern. Und sich soweit wie möglich vorzuarbeiten.
Die Etappe hat aber gezeigt, was ein Teamrennen ausmacht, dass man sich gegenseitig unterstützt, anfeuert, hilft und am Ende gemeinsam den Helm richtet.
Morgen ist ein neuer Tag, die zweite Etappe und hoffentlich einiges möglich...
05:45 der Wecker klingelt wieder recht früh, ab 06:00 Uhr gibt es Frühstück, um 08:00 ist Start. Der Morgen also fast durchgeplant wie vor einem Ruderrennen mit Waage, kaum Umstellung für mich.
Ich habe noch nicht so richtig Appetit, irgendetwas muss jedoch in mich rein, denn sonst könnte es sich nachher übel rächen. Die Etappe heute führt durch das „Wohnzimmer“ von Fadri. Jeden Kilometer ist er schon zig Fach abgefahren, über 3/4 der Strecke kenne ich auch schon, so hat Fadri mich auf diesen Anstiegen und Trails am Samstag zur Begrüßung lang geführt.
Die gesamte Nacht hat es geregnet, der Sportplatz vor unserem Hotel steht noch unter Wasser und die Straße ist auch noch feucht. Das Wetter sieht für den Tag wesentlich besser aus als gestern kein Regen und die Sonne soll sich blicken lassen.
Frühstück ist fertig, Trinkflasche gefüllt, Trikottaschen mit Gels gepackt, auf zum Warm fahren. Ich habe mich heute für kurze Hose und langes Trikot entschieden. Nach 3km Radeln revidiere ich meine Entscheidung, es geht schnell zurück zum Hotel, die Startzeit sitzt uns im Nacken. Schlüssel von der Rezeption geholt, ab in den zweiten Stock, Beinlinge überstreifen, runter rennen, Schlüssel abgeben und auf zum Start. Sechs Minuten sind es noch, dann rollen wir los.
Meine Beine spüre ich schon von gestern, ich mache mein Tacho an und dieser sagt, dass ich immer noch 30 Std Pause machen soll, war also doch eine intensive Etappe gestern.
3-2-1 they are underway, the second stage has started
Von 0 auf 40, eine kleine Kurve und dann sprinten wir schon durch Sankt Moritz Richtung Olympiaschanze den Berg hoch. Schnell sortiert sich das Feld und nach knapp 12 Minuten sind wir wieder in der Gruppe von gestern. Zwei weitere Teams und wir. Es geht erstmal Berg auf, direkt knappe 300hm anfangs Schotterweg, dann der erste Trail Berg ab, ich fahre hinten in der Gruppe und muss am Ende der Passage wieder an die anderen ran sprinten, sind sie doch um einiges stärker in den sehr technischen Passagen. Es folgen tiefe Wiesen, die vom Regen getränkt sind, Fluss / Bach Durchfahrten, das Schuhe trocknen hat sich also gelohnt...
Dann geht wieder Berg ab: Puh was für eine Abfahrt, ein Streifen so breit wie ein Autoreifen und schlammig ohne Ende. Es ist eine Abfahrt auf Schmierseife, ich habe ein Tempo zwischen dran bleiben und meinem eigenen und komme gut runter, die nächste Rampe Berg auf wartet und ich kann die entstandene Lücke wieder schließen.
Es gehen flowige Trails in die Ebene, solche kenne ich aus den Harburger Bergen und kann sehr gut mitfahren. Dem folgt ein langes Stück durch die Ebene vorbei am Flughafen bis zum Anstieg zum höchsten Punkt des gesamten Swiss Epic auf 2543m. Am Anfang ein Schotterweg, gut für den eigenen Rhythmus, nach knappen 3,5km wechselt der Weg auf einen schmalen Singletrail, mittlerweile fahren wir in den Wolken und ich bin über die frisch sehr dankbar.
Der Trail ist extrem matschig, ab und an dreht der Hinterrad durch, von hinten kommen ein paar Teams und überholen uns. Der gute Rhythmus vom ersten Teil kann nicht mehr gefahren werden, es ist ein technischer Anstieg. Nun wird es richtig steil, „Wer sein Fahrrad liebt der schiebt“.
Ich schiebe mein Rad nun ein paar Spitzkehren hoch, durch das leichte wegrutschen bin ich nicht mehr voran gekommen und muss bis zur nächsten flachen Stelle laufen, damit ich wieder in den Sattel und auf die Pedalen komme. Kurz geht’s runter auf dem gleichen Trail, bevor es noch mal ca 350hm bis nach oben geht.
Mein Puls ist heute eher im Keller, steckt also doch Belastung im Körper und wahrscheinlich auch ein bisschen Anpassung an die Höhe. Meine Beine sagen aber, dass sie heute auch ordentlich arbeiten müssen. Die Spitze ist erreicht, es geht in einem Flow Trail runter nach Sankt Moritz, wir verlieren nur wenig auf unsere zuvor mitgefahrenen Teams. Nehmen Steilkurven, kleine Sprünge und unten im Tal sieht man die Seen Sankt Moritz, was für eine Kulisse.
Wieder Teer unter den Stollen, die Räder und wir sehen schon wieder aus, als wären wir durch ein Moorgebiet gefahren, die Schaltung will auch nicht mehr ganz so wie meinen Daumen es ihr befiehlt, aber das Ziel ist gleich da. Fadri und ich sprinten Richtung Ziellinie, den ganzen Tag haben Familie, Bekannte und Freunde Fadri und mich angefeuert, auf der Geraden höre ich das letzte Mal Anfeuerungsrufe Fadriiii, 3:48 Std zeigt die Uhr an und der Arbeitstag ist fertig.
Die Stimmung ist eine andere als Gestern, ein Lächeln auf den Lippen und kein gesenkter Kopf. Ich habe meine Job als Teampartner also ganz gut gemacht, gibt es doch fast nichts schöneres als einen zufrieden Teampartner. Eine coole Etappe und wir haben das Wohnzimmer gerockt. Insgesamt werden wir heute 29. in unserer Kategorie gar 24.
Im Gesamtklassement machen wir einen Sprung bis auf Platz 38, in unserer Kategorie auf 29.
Ein Tag auf dem wir aufbauen können. Morgen geht es um 07:30 Uhr in Richtung Lenzerheide, es erwarten uns 80km mit 2200Hm, dass Gute, Lenzerheide liegt tiefer als Sankt Moritz, das heißt wir fahren mehr Berg ab als auf 😋
Es ist wie bei einer Serie, man verfolgt sie aufgeregt, interessiert und auf einmal - kommt der Cliffhänger!
So war es auch hier bei der Berichterstattung, die ersten Etappen wurde direkt berichtet und ihr wüsstest wie es um uns steht und dann der Bruch. Schaffen sie es noch weiter nach vorne, kommen beide bis ins Ziel oder kommen erneut Komplikationen?!
Bei der dritten Etappe hieß es Abschied nehmen, von Sankt Moritz ging es nach Lenzerheide. Nach dem guten zweiten Tag waren wir motiviert und wussten, was wir können. Beim Blick auf das Profil war schnell klar, am Anfang muss ordentlich Gas gegeben werden, damit man durch die Ebene bis zum Albula Anstieg mit den Profis und einer großen Gruppe mitkommt. Gesagt, getan! Voll Power über die ersten Anstiege, in der Abfahrt spät auf der Bremse, nach den Kurven nachsprinten. Knappe 20km waren so dann auch recht fix vorbei, mit einem Schnitt von 36 km/h erreichten wir den Albula. Ein Anstieg wie für mich gemacht, recht gleichmäßig hauptsächlich auf Asphalt, unsere Stärke konnte ausgespielt werden. Das Ende des Passes ist erreicht und es geht abwärts, der Schnitt liegt nur noch bei ganz knapp über 20 km/h. Der erste Teil der Abfahrt geht über Geröllfelder, kein leichtes Handling. Augen immer offen lassen, gute Linie wählen und stabil auf dem Rad stehen. Wir verabschieden uns vom Geröll und es geht auf einem normalen Trail zwischen Kuhwiesen weiter. Fadri und ich müssen kurzzeitig unseren eigenen Weg bisschen oberhalb des Trails ebnen, da ein Bauer seine Kuhherde über den Trail schickt und wir nicht im Stau stehen wollen. Der Tag bietet einiges an technischen Abfahrten, ab dem Albula fahren wir fast 30km Berg ab. Mit der Gewissheit, am Ende geht es noch gut 20km Berg auf.
Wurzeln, dicke Steine, Absätze und Schiebepassagen alles dabei. Richtung Ende der Abfahrt wird es flacher, wir fahren nun zu viert. Winden uns um Bäume, fahren entlang von Flussläufen und wechseln uns in der Führungsarbeit ab.
Es kommt zum Aufstieg: Asphalt, dann Schotter, Singletrail, Schotter, bisschen Wiese wieder Schotter (Kurzfassung von 20 langen Kilometern).
Wir machen direkt Druck und brechen unseren beiden Begleiter damit „das Genick“. Wir sind alleine und pushen. Auf dem Asphalt und Schotter geht’s noch recht flüssig, es ist nicht zu steil, dann kommt der Singletrail. Leichtester Gang und trotzdem nur eine Trittfrequenz um knapp 60 Umdrehungen. Zwei Kilometer bis zu Servicestation die sich Anfühlen wie 10km. Mit zwei bis fünf km/h ist es ein Schneckenrennen geworden. Endlich die Servicestation die letzten 10 km bis ins Ziel, aber es geht immer noch Berg uffe.
In den steileren Stücken, schiebt Fadri ein kleines bisschen von Hinten, damit wir schneller sind, fast wie mit einem E-Bike, nur dass es nicht neben einem schnauft.
Die letzten Meter geht es erneut in einen Flowtrail, das Ziel ist nah und wir überqueren direkt am See die Ziellinie. Die Königsetappe ist geschafft, ich habe alles aus mir raus geholt und vielleicht etwas mehr, aber wir haben uns belohnt: ein 25. Platz auf der Etappe und Rang 33 im Klassement. Wir kommen unserem Ziel noch die Top 30 zu erreichen näher.
Vierte Etappe nur knappe 42km stehen drauf, ich denke easy, das rocken wir, bis Fadri mich darauf aufmerksam macht, dass es die Hälfte der Distanz vom Vortag aber die gleichen Höhenmeter sind. Zwei lange lange Anstiege und dann zweimal lange Berg ab, gespickt mit Flowtrail und super zu fahrenden Singletrails. Der erste lange Aufstieg passt sehr gut, sind die ersten fünf Kilometer doch auf Asphalt, dann wird’s schottrig, auch das geht noch, aber als sich der Berg Richtung Himmel neigt und ich ins Carbon meines Lenkers beißen muss, weis ich, dass der Aufstieg noch lange gehen kann.
Was eine geile Abfahrt, flowig geht es ins Tal über Steilkurven, kleine Sprünge und ein paar geraden, es lässt sich super fahren. Wir queren einmal das Tal um auf der anderen Seite den anderen Berg zu bewältigen. Ähnlich wie beim ersten Aufstieg, der Anfang ist top, kleiner Waldweg zwischen Bäumen hindurch mit einer angenehmen Steigung. Wir verlassen die Baumgrenze und nun wird es happig. Eine Rampe nach der anderen erwartet uns im Aufstieg, wenn ich bei der ersten noch gedacht habe schlimmer kann es nicht werden, kommt schon die nächste. Als ob jede Rampe steiler sein möchte als die davor, ich habe teilweise Mühe überhaupt noch meine Kurbel zu drehen, liege fasst auf dem Fahrrad, weil ich das Gefühl habe, wenn ich mich ein bisschen aufrichte, dass ich mit dem Rad nach hinten überkippe.
Die letzten Meter im Aufstieg, ein Wanderer hat es mir zugerufen, mein Hinterrad rutscht weg und hat keinen Halt mehr. Also gut, laufe ich den Rest, komplett am Anschlag schleppe ich mich die letzten Meter bis zum Traileinstieg, wie in den Vortagen ist in den Trails nicht an ein ausruhen zu denken, zu wach muss man sein, damit es sicher Richtung Tal geht.
Ich schlängelt meine Reifen zwischen spitzen Steinen durch, folge der Line von Fadri. Über große Steine wird gesprungen und immer der Versuch locker und entspannt zu stehen. Mit der Entspannung muss ich mal noch besser üben, meine Beine spannen sich an, als würde ich an der Wand hocken, ab und an gelingt es mir etwas Spannung fallen zu lassen, dann kommen aber schon die nächsten Huppel und Steine. Die Federung fängt einiges ab und ich bin doch froh 120mm Federweg zu haben, kann ich so Fadri doch besser folgen. Der letzte Kilometer über die Straße, noch mal in eine Aerodynamische Position gebracht und bolzen. Zack wieder 25. auf der Etappe und erneut ein Sprung weiter Richtung Platz 30 im Gesamtklassement.
Die letzte Etappe ruft, noch mal alles in die Schale werfen was noch an Bord ist. Und wie jeden Tag gebe ich es mir direkt von Start richtig. Irgendwie muss man doch Spaß daran haben Morgens um 05:30 Uhr auf zustehen, sich etwas Essen in den Magen zu quälen und um 07:30 Uhr volle Kanone los zu sprinten und den Puls aus dem Keller ins Maximum zu Hämmern. Jeden Tag hoffe ich darauf, dass es wie bei der Tour ein Trikot für den kämpferischsten Fahrer gibt, bis jetzt habe ich aber keines erhalten, aber das ist egal, ich fahre trotzdem so...
Wir bilden wieder eine Vierer Gruppe mit unseren zwei lieb gewonnen Fahrern, Sönke kannten wir schon vorher, und wenn man den beiden folgt geht es nach vorne, dass wissen wir. Fadri hat ein bisschen Schwierigkeiten in den Tag zu kommen, endlich denke ich mir muss er sich auch mal belasten, vielleicht war das gestrige Schieben von mir etwas zu hart, so hat er seine Hand gegen meinen Rücken gehalten, damit ich nicht abwärts Rolle ;) Wir können mit etwas kämpfen aber beiden gut folgen, bis der erste kleine Trail durch Gebüsch geht, über eine feuchte Wiese mit folgenden nassen schrägen Wurzeln, nicht leicht zu fahren, gar nicht leicht zu fahren. Wir müssen abreißen lassen und beim raus fahren aus dem Gebüsch sehen wir auch kein Team mehr vor uns, waren vor dem hineinfahren doch noch drei die wir gesehen haben.
Also gut, wir fahren unseren eigenen Rhythmus, prügeln uns gegenseitig die Anstiege hoch und drücken immer in die Ebene rein, da wo man sich ausruhen will wird drauf gehalten. Nach gut 45‘ alleine auf weiter Flur, zwischenzeitlich sind wir über ein Viadukt gerannt und haben danach 300hm in knapp 2,5km bewältigt, haben wir unsere beiden Pappenheimer wieder vor der Nase. Beide sind wir überrascht, dass wir die beiden heute noch mal sehen. Die nächsten knapp 1000hm fahren wir gemeinsam, ab und an gibt es einen kleinen Joke von der Seite. Es geht in die letzte lange Abfahrt, vielleicht eine der schwierigsten der letzten fünf Tage. Zum Einstieg in den Trail Wurzeln und Steine, alles so breit, dass man sich eine eigene Linie suchen muss. Es folgt eine Haarnadelkurve und der Trail misst wieder die Breite eines Autoreifens, Wurzeln laufen ständig quer drüber und sind feucht, also extrem rutschig. Ich merke, dass es nicht unbedingt mein Trail wird. Über die ersten Wurzeln komme ich noch rüber, es Rutsch das Hinterrad weg und ich klicke lieber meinen linken Schuh aus der Pedale, damit ich etwas mehr Sicherheit habe. Der Trail ist fast geschafft, da erwischt es mich doch noch, mein erster kleiner Sturz so kurz vor Ziel, zum Glück bin ich schon vorher auf Nummer sicher gegangen, ein kleiner Kratzer sonst nichts.
Wir nehmen die letzten Kurven in Davos, man hört schon den Sprecher: Hier kommen Fadri Barandun und Lars Wichert für Bernina Sport. Ein Riesen Lächeln auf unseren Gesichtern. Was für eine geile Leistung nochmal auf der letzten Etappe. Die Finishermedaille wird uns um den Hals gehangen, eine Respektfaust und Umarmung zeigen die Anerkennung für die letzten fünf Tage gemeinsamen Kampf.
Was für ein Erlebnis in den Schweizer Alpen!
Sehr coole Trails, von Flow über Wurzeln hin zu schnellen Abfahrt und noch steileren Aufstiegen. Mit Blicken ins Tal, entlang an Bergseen, durch Wälder und über Wiesen. Wir haben alles geboten bekommen, was man sich wünscht. Doch was wäre das alles ohne unsere Helfer gewesen! Einen Riesen Dank an Bernina Sport für einen super Bikeservice auf den ersten drei Etappen, Sankt Moritz und Fadris Onkel für den Startplatz und zu guter letzt Fadris Familie, ich habe mich mit dem gesamten Support und der Unterstützung gefühlt wie ein Profi :) Fadri darf ich natürlich nicht vergessen, der mich über die Berge geschoben hat, mir den Weg in den Trails gezeigt hat und der Partner an meiner Seite war. Es war mir eine Freude dich zu begleiten und beim nächsten Mal bin ich dann 10kg leichter, damit es noch weiter nach vorne geht und du vielleicht früher an deine Grenze gebracht wirst als erst nach fünf Tagen.
Am Ende haben wir es geschafft mit ein 25. Platz auf der letzten Etappe doch noch Platz 30 zu erreichen.
Das Kämpfen hat sich also gelohnt.
Der Nationalpark Bikemarathon, ein Rennen mit vielen Geschichten. Bereits als kleiner Junge war ich dabei, als mein Cousin Nicolà am Rennen teilgenommen hatte und es war auch das erste grosse Rennen, an dem ich selbst teilgenommen habe. Vor 3 Jahren fuhr ich dann zum ersten Mal die Livignasco-Strecke, die Nicolà damals vor mir gewonnen hat. Ein Jahr später (2017) fuhr ich dann die Jauerstrecke und wurde wiederum Zweiter. Letztes Jahr auf der verkürzten Strecke von S-chanf nach Scuol wurde ich ebenfalls Zweiter, nachdem ich das Rennen in der Abfahrt von Ftan nach Scuol verloren hatte. Irgendwie sollte es einfach noch nicht sein mit dem Sieg am Heimrennen.
Die Saison neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. Ich startete am 24.März in Camprils (ESP) so früh wie noch nie in meine Rennsaison, mit der Ambition, auf der Langstrecke Erfahrungen zu sammeln. Ich habe bereits sehr viel gelernt in diesem ersten Jahr auf der Langstrecke, sei es in Cambrils, in Singen, in Montafon aber auch an den Rennen in Grindelwald oder am Ortler Bikemarathon. «Erfolg» erhält eine neue Definition. So bin ich mit einem 16. Rang am Eiger mehr als zufrieden, wo ich mich noch letztes Jahr auf der Mitteldistanz erst mit ein paar Stunden Abstand über den dritten Rang freuen und den blöden Sturz im falschen Moment akzeptieren konnte. Es weht ein anderer Wind, das musste ich an den UCI Marathon Series Rennen in Cambrils, Singen und Montafon lernen. Aber das gehört eben dazu, alles andere wäre ungewöhnlich. Das Bedürfnis, bei einem Rennen mal wieder um den Sieg mitzufahren, wird je länger je grösser und so entscheide ich mich, beim Nationalpark Bikemarathon nochmals auf der Mitteldistanz von 103 Kilometer ab Fuldera zu starten. Zudem kommt, dass das Swissepic erst eine Woche her ist, und dass mit der Schweizermeisterschaft und der allerletzten Chance, die Selektionskriterien für die WM doch noch zu erfüllen am nächsten Wochenende (08.September) eines der wichtigsten Rennen der Saison ansteht.
Um 4:15 klingelt der Wecker, Frühstücken und die letzten Sachen vorbereiten. Man kann langsam von Routine sprechen, denn es ist der siebte Renntag in den letzten drei Wochen. Um 5:30 fahren wir los nach Fuldera, wo Lukas Buchli, einer der Grössten des Mountainbike-Marathon Sports und ein grosses Vorbild von mir um 7:15 den Startschuss für die 103 Kilometer und 2700 Höhenmeter abgibt. Ich weiss, auf welche Fahrer ich heute achten muss: Sebastian Breuer und Pirmin Eisenbarth aus Deutschland und Pascal Kiser und Adrian Jäggi aus der Schweiz. Ich weiss aber auch, dass ich heute das Rennen massgebend mitbestimmen kann, und so setze ich mich gleich am ersten Anstieg an die Spitze des Feldes und drücke ein wenig aufs Tempo. Nach wenigen Kilometern können wir uns zu viert absetzen: Sebastian Breuer, Pirmin Eisenbarth und mein Teamkollege Micha Steiner. Die Zusammenarbeit in der Gruppe funktioniert gut und das Tempo passt mir vorerst. Wir erreichen zu viert die Alp Mora, den Gipfel des ersten Aufstiegs. In der anschliessenden Abfahrt zieht Pirmin ein wenig davon, was mich aber überhaupt nicht nervös macht. Ich gebe Micha zu verstehen, dass wir Pirmin ein wenig ziehen lassen und den Abstand kontrolliert halten sollen. Allein verliert er womöglich mehr Kraft als wir zu dritt auf seiner Verfolgung und wenn der Abstand so kontrolliert ist, dass wir am Alpisella-Aufstieg ohne grossen Mehraufwand wieder heranfahren können, ist diese Variante mit weniger Energieverlust verbunden. So machen wir es dann auch und bleiben konstant einige Hundert Meter hinter dem Ausreisser. Bei der Staumauer kurz vor dem Aufstieg verpassen wir dann einen Abzweiger und müssen irgendwo quer durch die Wiese wieder auf den richtigen Weg. Im Aufstieg zur Alpisella können wir Pirmin wieder einholen, jedoch muss Micha zwischenzeitlich ein wenig abreissen lassen. Der Aufstieg flacht gegen Ende ein wenig ab und als ich bemerke, dass Micha nicht so weit weg ist, nehme ich ein bisschen Tempo raus, um ihm die Möglichkeit zu geben, wieder heranzufahren. Das geht auch auf, und so kann Micha kurz vor Beginn der Abfahrt runter nach Livigno die Lücke wieder schliessen. Pirmin geht als erster in die Abfahrt und ich kann ihm relativ gut folgen. Sebastian und Micha müssen ein wenig abreissen lassen und so bekomme ich nicht mit, dass Micha stürzt. Er übersteht den Sturz aber einigermassen gut und kann weiterfahren. Die Fläche bei Livigno nehme ich zusammen mit Pirmin in Angriff und wir wechseln uns bei der Führungsarbeit gut ab, nehmen aber knapp 1.5 Kilometer vor dem Beginn des sehr steilen Aufstiegs zum Chaschauna-Pass ein wenig raus, um nochmals gut zu verpflegen und durchzuatmen und so kann Sebastian die Lücke wieder zufahren. Zu dritt fahren wir also in den steilsten Aufstieg, den ich bei Rennen je gefahren bin und ich merke schnell, dass ich heute ziemlich gute «Chaschauna-Beine» habe. Schon früh öffnet sich eine Lücke zu den anderen zwei, die immer grösser wird. Ich kann mein eigenes Tempo und meinen Rhythmus fahren und komme den gesamten Aufstieg durch, ohne ein Mal vom Rad steigen zu müssen. Es ist das erste Mal, dass ich den 3.8 Kilometer langen Anstieg mit 650 Höhenmetern und durchschnittlich 17% Steigung von unten bis oben durchfahren kann, ohne absteigen zu müssen. Der Blick hinunter verrät mir, dass ich sicher 3 bis 4 Minuten Vorsprung auf die beiden herausfahren konnte. Ohne zu zögern ziehe ich durch in den Singletrail, der oben relativ steil und mit viel losem Material nicht ganz einfach zu fahren ist. Ich komme aber ohne Probleme durch und erreiche nach wenigen Minuten die Alp Chaschauna. Von nun an geht es auf Forststrassen weiter in Richtung S-chanf. Für mich ist klar, dass ich jetzt voll durchziehen muss, auch wenn die anderen hinter mir wahrscheinlich zu zweit fahren können, was vor allem von S-chanf nach Lavin ein grosser Vorteil sein wird. Ich erreiche S-chanf, wo ich zum zweiten Mal verpflegt werde. Nun beginnt das «Einzelzeitfahren». Mit hohem Tempo geht es auf Forststrassen und Asphalt in Richtung Zernez. Die paar kurzen Gegensteigungen komme ich gut hinauf und ich versuche möglichst schnell und gleichmässig zu fahren. Es gilt jetzt einerseits nicht zu überpacen, aber dennoch das Tempo hochzuhalten, damit die Verfolger nicht wiederaufschliessen können. In Zernez folgt der Aufstieg zum Munt Baselgia, welcher mir schon immer gefallen hat. Die vielen Zuschauer lassen mich den Aufstieg förmlich hochfliegen und als ich von oben immer noch keine Verfolger ausmachen kann, realisiere ich langsam, dass ich ziemlich schnell unterwegs bin und dass das heute gut ausgehen könnte. Trotzdem muss ich konzentriert bleiben und darf keine Fehler machen. Im nächsten Abschnitt bis nach Lavin läuft alles relativ gut und so steht von Lavin nach Guarda die letzte längere Steigung an. In Lavin erhalte ich die Information, dass ich in Zernez über 8 Minuten Vorsprung hatte und muss nochmals nachfragen, ob ich das richtig verstanden habe. Mit 8 Minuten habe ich wirklich nicht gerechnet. Trotzdem fahre ich mein Tempo weiter und so erreiche ich schon bald Guarda. Nun folgen noch ein paar kürzere Anstiege. Beflügelt vom Wissen, dass ich kurz vor meinem ersten Sieg am Heimrennen stehe, fliege ich auch diese Aufstiege hinauf und als ich dann Ftan erreiche, weiss ich, dass ich mich jetzt nur noch selbst schlagen kann. Ein Blick auf die Uhr verrät mir aber auch, dass der Streckenrekord ausser Reichweite ist und so beschliesse ich, die letzte Abfahrt ohne Risiko herunter zu fahren. Ich erreiche Scuol und kann die letzten Meter voll geniessen. Auch der allerletzte, steile Aufstieg hoch ins Ziel macht richtig Spass. Mit 4:21:04 erreiche ich das Ziel in Scuol mit über 9 Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten.
Ich habe mir vor dem Rennen schon Chancen auf den Sieg ausgerechnet. Aber die Chancen allein machen den Sieg noch lange nicht. Ich konnte das Rennen aktiv mitgestalten und in den richtigen Momenten die richtigen Entscheidungen treffen. Für mich geht ein Traum in Erfüllung. An meinem Heimrennen gewinnen zu können, ist unbeschreiblich schön und bedeutet mir sehr viel. Ein grosser Dank geht ein Mal mehr an meine Familie, die sich auch heute wieder richtig ins Zeugs gelegt hat, um mich zu Supporten und zu Verpflegen.
Die Form stimmt nach wie vor und ich habe das Gefühl, dass mir das Swissepic nochmals einen Schub gegeben hat. Einerseits hat mich diese Woche physisch und technisch stärker gemacht. Dass ich am Swissepic nicht mein volles Potential zeigen konnte, hat mich auch mental weitergebracht und umso mehr motiviert, an den noch verbleibenden Rennen zu zeigen, zu was ich fähig bin. Am Sonntag steht dann die SM in Alpnach an. Das Ziel ist ganz klar: Top 20 und somit doch noch die WM-Selektion zu erfüllen – wenn nicht jetzt, wann dann!
«Spürst du am Abend vor dem Rennen, ob das Rennen gut gehen wird oder nicht?», frage ich Luca am Samstagabend vor dem Rennen im Wohnmobil. «Morn haui eine use», sage ich ihm mit einem nicht ganz ernst gemeinten, selbstsicheren Blick. Irgendwie spüre ich, dass das Rennen am Sonntag gut gehen wird, doch was soll dieses Gefühl bedeuten?
Luca Tavasci und ich verstehen uns sehr gut. Wir gehen oft zusammen trainieren und haben in sehr vielen Themen eine ähnliche Ansicht. Dass er an diesem Wochenende mit dabei ist und die 55 Kilometer Strecke fährt, freut mich daher sehr. Mein Vater, Luca und ich reisen bereits am Samstag mit dem Wohnmobil an, meine Schwester und meine Mutter kommen mit dem Auto nach und übernachten in Lauterbrunnen. Und so kommt es am Samstagabend eben zu diesem Gespräch.
Klar kann man am Vortag nicht wissen, wie das Rennen laufen wird. Aber ich fühle mich sehr sicher und verspüre quasi keine Nervosität. Vor dem Rennen in Montafon hatte ich wirklich grossen Respekt vor der Strecke und dem starken Teilnehmerfeld, das ist dieses Mal alles anders. Aber die Antwort werden wir erst morgen haben. So bleibt uns nichts übrig, als den Abend noch gemütlich ausklingen zu lassen und dann bei Zeiten zu Bett zu gehen. «Mer gsehnds denn morn…»
Um 7:00 erfolgt der Start für die 88 Kilometer und 3900 Höhenmeter. Ich habe mir vorgängig Gedanken gemacht, wie ich das Rennen fahren möchte und habe mich schnell entschieden, dass ich mich erstmal wieder an Norbi (Norbert Amgarten) orientiere. Nach einer kurzen und flachen Neutralisation geht’s einfach Mal über 1000 Höhenmeter berghoch. Nach ein paar hundert Höhenmeter muss ich die Spitze ziehen lassen. Aber Norbi und Lars (Zumstein) geht es genau so, und so fahren wir zu dritt einen guten und gleichmässigen Rhythmus in Richtung Feld, den Gipfel des ersten Aufstiegs. Ich kann einige Meter vor Norbi und Lars in die Abfahrt, verpasse aber einen Abzweiger und verliere ein paar Sekunde, so bin ich wieder mit Lars zusammen und weil ein Streckenposten noch nicht ganz wach war, verliert auch Norbi ein paar Sekunden und wir sind wieder zu dritt unterwegs. Im nachfolgenden Aufstieg nach Bort müssen Norbi und Lars ein wenig abreissen lassen, wobei Norbi in der Abfahrt wieder ranfährt. Lars stürzt in diesem Abschnitt und kommt nicht mehr ganz ran. Nun folgt der Abschnitt, den ich auf der 55 Kilometer Strecke immer geliebt habe: der Asphalt-Aufstieg zur Grossen Scheidegg. Und auch hier kann ich einen sehr gleichmässigen und schnellen Rhythmus fahren. Mein Plan, mit Norbi zu fahren, geht bis jetzt perfekt auf.
Nach der Grossen Scheidegg geht es ein paar Kilometer flach und leicht bergab. «Alles klar?», fragt mich Norbi. Ich sage ihm, dass es mir noch ziemlich gut geht und ich hoffe, das Tempo so durchzubringen. Auch ihm scheint es noch einigermassen gut zu gehen und so bin ich weiterhin zuversichtlich, dass wir gut durchkommen werden. Vor allem für die Abfahrten bin ich froh um Norbis Hinterrad und er scheint froh zu sein, wenn ich im Aufstieg vorne das Tempo fahre. Nach dem First geht es dieses Jahr noch einige Höhenmeter weiter bis zum Bachalpsee. Die vielen asiatischen Touristen, die in diesem Gebiet am Wandern sind und uns kräftig anfeuern lassen mich, ohne das überhaupt zu wollen, ein wenig von Norbi wegfahren. Das hat hingegen den Vorteil, dass ich die Abfahrt vom Bachalpsee, welche doch ziemlich anspruchsvoll ist, ein wenig gemütlicher angehen kann. Das wäre der einzige Abschnitt, wo ich um mein Merida-Fully froh gewesen wäre. Ich komme aber einigermassen gut durch, obwohl ich ein paar Mal vom Bike steigen muss. Als wäre es so geplant, holt mich am Ende des technischen Abschnitts Micha Klötzli, der zweite Mitteldistanzfahrer, ein. So kann ich an seinem Hinterrad in die schnelle Forstabfahrt. Als die Strecke dann wieder in einen Singletrail mündet, ist auch Norbi wieder an mir dran. Micha mussten wir inzwischen ziehen lassen und so fahre ich den nächsten Abschnitt wieder an Norbis Hinterrad. Auf dem schnellen Wurzeltrail gibt mir Norbi eine super Linie vor, und so kommen wir gemeinsam in Grindelwald Grund an, wo das letzte grosse Hindernis des Tages wartet: der Aufstieg zur kleinen Scheidegg. Die über 1000 Höhenmeter sind sehr gleichmässig steigend und am Anfang einen grossen Teil auf Asphalt. Solche Aufstiege liegen mir sehr gut und ich bin schnell wieder im Rhythmus drin. Nach ein paar Hundert Höhenmeter wird es aber langsam härter und härter. Norbi versucht mich zu motivieren, was ihm auch gelingt. Nur kommt hinzu, dass ich langsam ziemlich dringend pinkeln sollte. Das hört sich vielleicht komisch an, aber zu diesem Zeitpunkt sind wir bald 4 Stunden unterwegs und der natürliche Drang wird grösser und grösser. Ich spiele effektiv mit dem Gedanken, kurz anzuhalten aber Norbi ermutigt mich durchzuziehen, was im Nachhinein sicher die richtige Entscheidung ist. Das gehört eben auch dazu, bei solch langen Rennen.
Irgendwann erreichen wir dann die kleine Scheidegg und von nun an geht es quasi nur noch bergab. Norbi fährt vor, da er die Strecke schon ein paar Mal gefahren ist, und so habe ich wieder ein super Hinterrad vor mir. Es folgen noch ein paar kurze Gegensteigungen, aber es ist klar, dass wenn nichts ganz übles mehr passiert, wir so ins Ziel kommen werden. Auf dem letzten Abschnitt der Abfahrt auf Asphalt habe ich zwar Mühe, das Hinterrad von Norbi zu halten aber wir erreichen Grindelwald Grund quasi zusammen. «Jetzt machemer üs nüm gegesitig weh, oder?», fragt er mich. Er wird Leader als schnellster Fun-Fahrer bleiben und ich fahre mit Rang 16 mein bestes Saisonergebnis ein.
Ich bin sehr zufrieden mit dem Rennen, das gute Gefühl hat mich nicht getäuscht und die Form fürs anstehende Swissepic passt sehr gut. Am 20.August geht es in Davos los. Zusammen mit Lars Wichert werde ich fürs Team Bernina Sport während 5 Tagen rund 350 Kilometer und 13'000 Höhenmeter bewältigen. Ich freue mich sehr auf diese Tage auf meinen «Hometrails» und bin gespannt, wie Lars und ich harmonieren werden.
4 Jahre ist es her, dass Yannic den Arlberggiro gewonnen hat. Vor 4 Jahren kannte ich den Arlberggiro noch nicht und auch Yannic kannte ich nicht. Nicht mal Philipp und Lars kannte ich dazumal. Im Jahr 2015 fuhr ich erst meine zweite Rennsaison überhaupt und ging noch zur Schule. 2 Jahre später lernte ich Philipp an einem Abendrennen kennen. Damals arbeitete Philipp in der Klinik Gut in St.Moritz und wir teilten die Leidenschaft des Radsports. Noch beim Abendessen nach dem Rennen erzählte Philipp die Geschichte von Yannic, wie er dadurch mit Lars das Cape Epic gefahren ist und wie es zum Verein Wirfueryannic kam. Seit diesem Abend haben Philipp und ich uns immer wieder Mal zum Radfahren oder Langlaufen getroffen. Bei einer längeren Rennradtour im Herbst 2017 erzählte mir Philipp die Geschichte von Yannics Triumph am Arlberggiro 2015 und dass dieses Rennen daher ein sehr spezieller Anlass für den gesamten Verein «Wirfueryannic» ist und dass ich doch unbedingt auch einmal mitmachen solle. Nachdem es 2018 noch nicht geklappt hatte, war die Vorfreude auf das Rennen 2019 umso grösser.
Ich reise, wie die anderen knapp 30 Fahrerinnen und Fahrer der «Wirfueryannic-Gruppe», bereits am Samstag nach St.Anton am Arlberg. Nachdem wir unsere Zimmer im Hotel Rauch bezogen haben, treffen wir uns noch für eine kurze Ausfahrt und schauen die letzten 15 Kilometer der morgigen Strecke an. Philipp und die anderen Fahrer, welche das Rennen schon öfter gefahren sind, beschreiben die Strecke und machen auf die Schlüsselstellen aufmerksam. Wir sind ein starkes und breitaufgestelltes Team und machen uns berechtigte Hoffnung, die Teamwertung des Arlberggiros 2019 zu gewinnen.
Nach der kurzen Trainingseinheit gehen wir gemeinsam zur Startnummernausgabe und zum Pasta-Essen. Anschliessend schauen Lars und ich uns das spektakuläre Profi-Kriterium im Dorfkern von St.Anton an, bevor wir den Abend mit den anderen beim Hotel ausklingen lassen. Mein persönlicher Plan für das Rennen ist es, meinen Team-Kollegen zu helfen und meinen Teil dazu beizutragen, dass das Wirfueryannic Team die Teamwertung gewinnt. Ein bisschen mache ich mir noch Hoffnungen für die Bergwertung hoch zur Bielerhöhe, obwohl ich diesen Alpenpass vom letzten Wochenende am M3 Bikemarathon in Montafon mit gemischten Gefühlen in Erinnerung habe. So oder so freue ich mich auf die 150 Kilometer und knapp 2500 Höhenmeter. Nach einer angenehmen Nacht und einem reichhaltigen Frühstück geht es am Sonntagmorgen um 7:00 los.
Direkt nach dem Start bringt mich Lars in eine gute Position an die Spitze des Feldes, denn es geht direkt hoch zum Arlbergpass. Das Tempo ist extrem hoch. Ich kann zwar anfangs mitgehen, aber muss etwa nach der Hälfte ein bisschen rausnehmen, da ich sonst schon auf den ersten Kilometern explodieren würde. Vor mir sind etwa 6 oder 7 Fahrer, mit dabei auch Fabian Gut aus unserem Team, dann fahre ich und hinter mir wieder eine grössere Gruppe, wo weitere Fahrer aus unserem Team mit dabei sind. In der Abfahrt lasse ich diese Gruppe auffahren und nach wenigen Kilometern beginnt die 9 Kilometer lange Neutralisation aufgrund einer Baustelle. Bereits nach wenigen Minuten hat sich wieder ein riesiges Feld gebildet und es ist wieder alles beisammen. Die Regelung der Neutralisation, dass man nicht unter 14 Minuten durch diese Zone fahren darf, löst bei vielen Fahrern Verwirrung aus. «Wie lange bin ich jetzt schon drin? Wann darf ich wieder raus?» etc. Es kommt so, dass das Tempo durch die Rennleitung so stark gedrosselt wird, dass sowieso alle zusammenbleiben und eine etwa 80 Mann starke Gruppe das Tal hinunter rast. Viele Fahrer aus dem Wirfueryannic Team sind mit dabei und ich orientiere mich an den orange-gelben Trikots. Das Tempo ist sehr hoch und trotzdem bleibt im Feld die Gelegenheit, sich ein wenig zu erholen und auf die nächste grosse Hürde vorzubereiten. Ich bin froh um die Hilfe meiner Teamkollegen, denn meine Erfahrungen in solch einem grossen Feld halten sich in Grenzen. So merkt Kimon frühzeitig, dass ein Loch aufzugehen droht und bringt mich in den «sichereren» vorderen Teil des Felds zurück.
Mit hohem Tempo nähern wir uns dem Aufstieg zur Bielerhöhe und ich versuche mich zu Beginn des Aufstiegs möglichst gut zu platzieren. Die Beine fühlen sich noch sehr gut an, und so beginne ich mal ein bisschen aufs Tempo zu drücken und schon finde ich mich an der Spitze des Feldes wieder. Wie erwartet explodiert die riesige Gruppe am Fusse des Aufstiegs förmlich und so geht es nicht lange, bis sich etwa 7 Fahrer ein wenig absetzen können – und ich gehöre zu diesen Fahrern. Ich kann mit meinem Tempo sogar den einen oder anderen ganz grossen Namen der Amateurradsportszene in leichte Schwierigkeiten bringen, was mich ziemlich motiviert. Im Nachhinein motiviert mich das sogar ein wenig zu stark, denn ich muss die anderen 6 Fahrer doch bald mal ziehen lassen. Ich sehe aber, dass nicht weit hinter mir Fabian Gut, ein weiterer Wirfueryannic-Fahrer ist. Etwa nach der Hälfte des Aufstiegs ist Fabian auf einmal an meinem Hinterrad und wir befinden uns mit 3 anderen Fahrern in der zweiten Verfolgergruppe, ein paar Minuten hinter der Spitze. In der Gruppe wird sich darauf geeinigt, möglichst gleichmässig über den Pass zu fahren, um die anderen im Idealfall nochmals einzuholen. Ich fühle mich ziemlich gut, fahre aber das Flachstück auf der Bielerhöhe nicht mit endgültiger Konsequenz und so geht eine Lücke zu Fabian und zwei weiteren Fahrern auf. «Kein Grund nervös zu werden», denke ich mir. Die Lücke können wir nochmals schliessen, wenn wir jetzt gleich Mal ein bisschen investieren. Im dümmsten Moment kommt es aber zu einem Kreuzungsmanöver eines Reisebusses. Wir müssen einen Moment verlangsamen und verlieren einige Sekunden. So sind die anderen drei nochmals ein paar hundert Meter weiter weg. Inzwischen sind wir zu dritt und geben in der Abfahrt wirklich alles. Jede Ablösung wird voll am Anschlag gefahren und in den etwas steileren Abschnitten der Abfahrt alles gemacht, um möglichst schnell zu sein. Doch wir kommen einfach nicht näher ran. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, was das ganze aber umso ärgerlicher macht, ist, dass es vorne nochmals zu Zusammenschluss der Spitze kommt.
Als wir immer noch zu dritt kurz vor Ischgl sind, erkenne ich, dass unweit hinter uns eine grosse Gruppe heranrauscht. In der Gruppe ist sehr viel gelb-orange zu sehen und so beende ich meine Mitarbeit in der dreier Gruppe und lasse mich in die etwa 20 Mann starke Verfolgergruppe zurückfallen. Die anderen beiden werden auch bald von dieser Gruppe eingeholt und so bleibt nun ein wenig Zeit, im Windschatten der anderen Fahrer zu erholen. Mit Nicola, Philipp, Lars und Patrick sind 4 weitere Wirfueryannic-Fahrer in dieser Gruppe vertreten. Auf den nachfolgenden Kilometern passiert nicht so viel. Die Zusammenarbeit in der grossen Gruppe funktioniert nicht immer ganz so wie gewünscht, und es gibt wie so oft einige Fahrer, die sich vor der Führungsarbeit drücken. Das nervt mich irgendwann und so schlage ich Lars vor, dass einer von uns ausbrechen soll und die anderen 4 dann nicht mehr nachführen müssen. Lars hält mich aber zum Glück zurück und meint, dass wir noch warten sollen, bis wir den Wendepunkt erreicht haben und es wieder talaufwärts geht. So muss ich mich also noch ein wenig gedulden. Und als wir den Wendepunkt erreichen, erfolgt auch bereits eine Attacke aus der Gruppe. Ich reagiere und fahre mit. Ich möchte den Angriff eigentlich nur neutralisieren und so verweigere ich die Führungsarbeit erstmal. Als Nicola aber auch noch zu uns aufschliesst, ist für mich klar, dass es jetzt nochmals 20 sehr harte Kilometer werden. Also wird nochmals reingehämmert und wir müssen richtig viel investieren, um wirklich ein paar hundert Meter rauszufahren. Lars, Philipp und Patrick beteiligen sich in der Gruppe natürlich nicht mehr an der Nachführarbeit, was einige Fahrer nicht ganz nachvollziehen können. Zwei weitere Fahrer brechen aus der Gruppe aus und können an einem steileren Abschnitt auf uns auffahren. Ich merke, dass bei mir die Energie langsam schwindet und jede Ablösung mehr schmerzt als die vorherige. Irgendwann greift ein Fahrer aus dieser 5er-Gruppe sogar noch an. Nicola möchte ihn ein wenig «büssen» lassen für diese Attacke und so versuchen wir den Abstand zu kontrollieren und konstant zu halten und die Lücke erst wenige Kilometer vor dem Ziel wieder zu schliessen. Nicola ist ein super Sprinter und so wäre es jetzt meine Aufgabe, ihn möglichst gut zu positionieren, dass er eine gute Ausgangslage für den Sprint in dieser Verfolgergruppe hat. Aber ich kann nicht mehr und so endet mein Aufenthalt in dieser Gruppe knapp 2 Kilometer vor dem Ziel, als wir den Ausreisser wieder stellen können. Ein Blick zurück gewährt mir, dass ich die letzten 2 Kilometer auch noch alleine schaffe, bevor die nächsten Fahrer von hinten anrauschen. Und so erreiche ich das Ziel als 14. mit einer Zeit von 3:54:32 und knapp 9 Minuten Rückstand auf den Sieger – 20 Sekunden vor Lars, meinem Swissepic-Partner. Die Hauptprobe für das Highlight vom 20. bis 24. August auf meinen Hometrails ist also mehr als geglückt.
Nur kurz später erreichen auch Philipp, Patrick und Kimon das Ziel, und so sind unsere schnellsten 6 Fahrer für die Teamwertung bereits im Ziel. Aber es folgen noch 20 weitere Fahrerinnen und Fahrer, die für das Team Wirfueryannic gestartet sind.
Es war für mich ein sehr schönes Erlebnis. Klar, im Team zu fahren an sich hat mir wirklich sehr viel Spass gemacht. Eine Mannschaftstaktik umzusetzen, für andere zu arbeiten ist ein großartiges Gefühl. Wenn wir zudem mit Yannics Geschichte Leute erreichen können und auf das Thema Depression aufmerksam machen können, ist das genial. Es sterben in der Schweiz jährlich rund 1000 Menschen durch Suizid, welcher sicher zumindest teilweise verhindert werden könnte. Durch das Akzeptieren, dass Depression eine Krankheit und keine Seelenschwäche ist, kann jeder einen Beitrag dazu leisten, Betroffenen zu helfen.
Weitere Informationen zum Verein Wirfueryannic gibt es hier!
Es ist ja bekanntlich mein erstes Jahr auf der langen Marathonstrecke und so kann ich an einer Hand abzählen, wie oft ich schon über 100 Kilometer mit dem Mountainbike gefahren bin. Das Rennen im Vorarlberg führt über 130 Kilometer und 4500 Höhenmeter durch das schöne Montafon. Es wird mit Abstand das längste und härteste Rennen sein, das ich bis jetzt gefahren bin. Und um mit einer Top-20 Platzierung vielleicht doch noch die Selektionskriterien für die Heim-WM zu erfüllen, muss sicherlich alles zusammenstimmen. Aber bei solch extremen Rennen kann immer alles passieren.
Der Start ist am Samstagmorgen früh und so sind wir bereits am Freitagabend angereist. Den Support organisieren wir dieses Mal zusammen mit Andrin Beeli und seinem Vater Rolf. Und so fiel dann um 7:30 der Startschuss zu meinem ersten richtig langen Marathonrennen.
Anfangs ist das Tempo zwar noch gemächlich und es bleibt noch ein bisschen Zeit, sich auf der leicht ansteigenden Asphaltstrasse warm zufahren. Aber schon bald beginnen die Positionskämpfe, bevor es zum ersten Mal scharf rechts auf eine Forststrasse geht. Ich bin etwa an 30. Stelle positioniert, als nur wenig vor mir ein Fahrer stürzt und eine Lücke zur Spitze aufgeht. Ich kann zwar verhindern, dass ich ebenfalls zu Boden muss, aber die entstandene Lücke muss jetzt wieder geschlossen werden. Das gelingt mir zwar schnell, aber ich muss trotzdem schon früh im Rennen mehr investieren, als mir eigentlich lieb ist. Als es dann zum ersten Mal richtig hochgeht, zieht es das gesamte Feld mächtig auseinander. Es fällt mir nicht ganz leicht einzuschätzen, wie schnell ich diesen Aufstieg hochfahren kann. So versuche ich ein Tempo zu fahren, das ich gefühlt über mehrere Stunden fahren kann. Aber es ziehen Fahrer um Fahrer an mir vorbei. Ich könnte gut mit denen mitfahren, aber ich habe zu viel Respekt, dass es mich dann irgendwann nach 3 oder 4 Stunden aufstellt. Irgendwann befinde ich mich dann endlich in einer Gruppe, die etwa so schnell fährt, wie ich. Den ersten längeren Aufstieg kann ich gut in dieser Gruppe mitfahren und in der Abfahrt gelingt es uns zu zweit, die anderen gar ein wenig zu distanzieren. Nach dem zweiten Aufstieg und der darauffolgenden Abfahrt, die im oberen Teil noch sehr einfach und schnell ist und dann in einem technischen Singletrail endet, kann ich auf eine grössere Gruppe auffahren, mit der ich die nächsten Kilometer absolviere. Nachdem sich die gesamte Gruppe um ein paar Meter verfahren hat, erreichen wir die zweite Verpflegung bei Kilometer 40. Ich bin etwa um Rang 30 rangiert mit knapp 4 Minuten Rückstand auf Rang 20. Das motiviert mich sehr und so fahre ich ziemlich zügig mit Philipp Handl in die nächste Steigung. Irgendwann muss ich Philipp aber ziehen lassen, da ich dieses Tempo nicht so bis oben durchbringen und nachher noch rund 80 Kilometer fahren könnte. Und so kommt es auch, dass von hinten wieder einige Fahrer heran und sogar vorbeifahren können. Ich bin nicht wirklich in einer Krise aber merke, dass die Kräfte schon langsam ein bisschen nachlassen. Mit dem Wissen, dass ich nach bald 3 Stunden noch nicht mal die Hälfte des Rennens hinter mir habe, erreiche ich den höchsten Punkt der Steigung und fahre in die abermals sehr schnelle Abfahrt. Im oberen Teil auf Asphalt fühle ich mich sehr wohl und sicher und kann den Rückstand auf die beiden direkt vor mir liegenden Fahrer minimieren. Nach ein paar Kilometern geht die Strecke von Asphalt wieder auf eine Kiesstrasse über und ich fahre ein wenig zu schnell in die erste Kurve, was um ein Haar in einem Sturz endet. So nehme ich aber für den Rest der Abfahrt ein wenig an Geschwindigkeit raus und kann die Lücke zu den anderen zwei Fahrern nicht mehr schliessen. Das ist umso ärgerlicher, weil jetzt ein längerer Abschnitt folgt, der flach und leicht aufsteigend ist, wo Windschatten schon ziemlich viel ausmachen kann. Hinzu kommt, dass ich langsam auch mental ein bisschen müde werde und so wird das Rennen langsam richtig hart. Ich habe erst knapp die Hälfte hinter mir. Irgendwie geht es aber immer weiter und so fahre ich bis zum Fuss der Steigung Richtung Bielerhöhe. Bei Partenen werde ich von meinen Eltern verpflegt und ich komme so langsam wieder in Fahrt. So gemein es auch klingen mag, aber es tut gut zu sehen, dass auch andere Fahrer leiden und kämpfen müssen. Das motiviert mich, weiter zu kämpfen und schon bald fallen die ersten Regentropfen und von weitem höre ich einen Donner grollen. Es geht immer weiter hoch auf einer steilen Asphaltstrasse, eigentlich genau mein Ding. Und als mich dann Mathias Schlüssel mit einer grossen Gruppe einholt, versuche ich mitzufahren und es gelingt mir sogar, mich mit Mathias abzusetzen. Ich kann nochmals ein gutes Tempo fahren und wir können den Rest distanzieren. Als wir oben beim ersten Stausee ankommen ist der Regen bereits stärker geworden und es hat merklich abgekühlt. Die anschliessende Fläche kann ich noch einigermassen verkraften, aber als es im Regen und der Kälte bergab geht, beginne ich richtig zu frieren. Zum Glück steht Rolf in der Verpflegungszone und kann mir eine Regenjacke geben. Der Regen wird stärker und stärker und das Gewitter kommt immer näher. So sehr mich Gewitter faszinieren, so sehr hasse ich es, bei einem Gewitter irgendwo an einem exponierten Ort und ohne wirklich geschützt zu sein. Und so ist es jetzt auch, der nächste Abschnitt führt nämlich entlang der Passstrasse zur Bielerhöhe, noch immer ansteigend und ziemlich auf offenem Gelände. Schon die eine oder andere unangenehme Erfahrung musste ich mit Gewittern machen. Ich habe zwar nicht so Angst, wie ich früher gehabt hätte, aber zum jetzigen Zeitpunkt fühle ich mich auch nicht wirklich wohl. Durchnässt, kalt, ohne Energie und ständig blitzt und donnert es um mich herum. Aber was will ich machen? Ich muss einfach weiterfahren. Das Gewitter scheint nicht mehr ganz so nah zu sein, aber wenn ich gar mit Hochfahren friere, heisst das nichts Gutes. Ich versuche meine Gedanken abzuschalten und einfach zu fahren, nicht zu überlegen, mich abzulenken. Ich will jetzt primär einfach mal die Bielerhöhe erreichen. Irgendwann ist es geschafft. Ich kriege nicht mehr so mit, was um mich herum passiert und kann auch nicht einschätzen, wie viele Fahrer in der Zwischenzeit an mir vorbei gefahren sind. Der Regen hat inzwischen ein wenig nachgelassen, aber auf der Bielerhöhe ist es knapp 8 Grad warm und als ich in die Abfahrt hinein fahre merke ich erst, wie kalt es wirklich ist. Ich zittere so sehr, dass es mir manchmal fast den Lenker aus der Hand schlägt. «Ok, das ist jetzt verdammt grenzwertig». Aber ich weiss auch, dass ich fast keine andere Option habe. Ich muss mich bewegen, denn sonst kriege ich nur noch kälter. Und zum anziehen habe ich auch nichts mehr dabei. Nach ein paar Kilometern geht es auf die Strasse und vor mir fährt gerade ein Reisecar aus Österreich. Im Normalfall hätte ich den sofort überholt. Aber ich fuhr möglichst dicht an den Bus heran, um durch die Abwärme ein bisschen aufgewärmt zu werden. Doch irgendwann überhole ich den Car, denn die Strecke geht schon wieder von der Strasse ab. «Eifach fahre», versuche ich mir einzureden. Irgendwie zurück zur Verpflegung nach Partenen kommen ist jetzt mein nächstes Ziel. Als die Abfahrt ein wenig schwieriger wird, muss ich vom Bike absteigen. Im normalen Zustand wäre das sicher fahrbar gewesen, aber so wie ich jetzt drauf bin, macht es keinen Sinn. Und so verliere ich wieder Minute um Minute, aber das ist mir inzwischen egal. Ich möchte einfach das Ziel erreichen. So kommt es, dass in der Laufpassage Loic Blanc zu mir stösst. Wir kennen uns von einigen Rennen in der Schweiz. Wir sind beide ähnliches durchgegangen in den letzten Stunden und legen die nächsten Kilometer zusammen zurück, bis zur Verpflegung in Partenen. Da halte ich an, um die Regenjacke gegen ein langes Trikot zu tauschen. Inzwischen hat der Regen nachgelassen und sogar die Sonne scheint ein bisschen. Ich gebe meinen Eltern zu verstehen, dass ich die letzten 30 Kilometer ins Ziel einfach noch «ausfahren» werde und auch Loic stimmt diesem Plan zu. Wir fahren gemeinsam, lösen uns gegenseitig bei der Führungsarbeit ab und es bleibt sogar Zeit, sich ein wenig zu unterhalten. Es geht für uns um gar nichts mehr, ausser das Rennen zu verdauen und die Erfahrungen mitzunehmen. So legen wir die letzten 30 Kilometer also gemeinsam zurück und bei meiner Frage «Wir werden nicht sprinten, oder?» müssen wir beide lachen.
Es ist schwierig zu verstehen, was man in so einem Rennen alles durchlebt. Aber mit ein bisschen Abstand bin ich stolz, dass ich trotz allem das Rennen zu Ende gefahren bin. Alles andere sind Erfahrungen, die im Sport dazu gehören. Und es wird nicht das letzte Rennen mit solchen Erfahrungen gewesen sein. Klar fragt man sich im Rennen, wieso man sich das antut. Aber schon einige Stunden nach dem Rennen bin ich umso motivierter, es wieder zu versuchen und weiterhin hart an meinen Zielen zu arbeiten.
Die Heim-WM im Wallis in meinem ersten Langdistanz-Jahr werde ich definitiv verpassen. Aber die Erfahrungen nehme ich mit und irgendwann wird dieser Traum einer WM-Teilnahme doch noch in Erfüllung gehen.
Nach dem harten Bike Giro lasse ich es mir lange offen, welche Strecke ich am Sonntag 7.Juli am Engadin Radmarathon fahren werde, dem Rennen, das ich seit diesem Jahr als Botschafter vertreten darf. Der Sieg auf der kurzen Strecke im vergangenen Jahr ist ein Höhepunkt meiner noch jungen Karriere und ich freue mich sehr auf mein Heimrennen, das sich mit einem neuen Rennformat und dem Prolog am Samstagabend stetig weiterentwickelt. Am Donnerstag entscheide ich mich, auf die Sonderwertung «König des Engadin Radmarathon» zu fahren. Bei dieser Wertung werden jeweils den ersten 5 Fahrern auf den Pässen Forcola di Livigno, Berninapass, Flüelapass und Albulapass sowie dem Prolog am Samstagabend von Zernez nach Ova Spin Punkte verteilt. Der Fahrer mit den meisten Punkten erhält CHF 1000.- und darf sich König des Engadin Radmarathons nennen. Also geht das Rennen für mich bereits am Samstagabend mit dem Prolog los.
Meine neue Rolle als Botschafter des Engadin Radmarathons bringt mir merklich höhere Bekanntheit in der Region und in der Szene, was für einen jungen Sportler durchaus auch neue Möglichkeiten bringen kann. Es ist eine Rolle, an die ich mich erst gewöhnen muss. Natürlich ist es schön, von Leuten angesprochen zu werden oder wenn Kinder fragen, ob sie ein Autogramm haben dürfen. Anderen Menschen eine Freude zu machen, ist etwas vom schönsten überhaupt und auch gewissermassen eine Belohnung für die vielen Stunden, die ich investiert habe, um da zu stehen, wo ich jetzt bin. Für mich ist aber auch klar, dass ich mich als Sportler durch meine Leistung definiere und so bin ich umso motivierter für den Prolog am Samstagabend. Kurz nachdem ich das Einfahren beginne, zieht ein starkes Gewitter mit Regen und Sturm über Zernez. Schnell wird kommuniziert, dass der Start von 17:30 auf 18:15 verschoben wird, ich starte als letzter Fahrer um 18:28:30. Die vielen Zuschauer in Zernez, die mir zujubeln als ich von der Startrampe rolle, motivieren mich, heute eine gute Ausgangslage für die Bergwertung von morgen zu machen. Schnell finde ich einen guten Rhythmus, den ich bis zum Ziel halten kann. Dass ich dabei die vor mir gestarteten Fahrer einhole, motiviert mich zusätzlich. Nach 17:53 erreiche ich mit neuer Bestzeit und rund 11 Sekunden Vorsprung das Ziel auf Ova Spin. Ich werde den Erwartungen gerecht und kann die ersten 20 Punkte für die Bergwertung gewinnen. Was jetzt kommt, bin ich mir vom letzten Wochenende bereits gewohnt: Ausfahren, Essen, Erholen. Morgen ist wohl einer der härtesten Tage dieser Saison. Aber der Grundstein für mein Vorhaben ist gelegt.
Pünktlich um 7 Uhr am Sonntagmorgen startet das Rennen in Zernez. Im Vergleich zu unserer Startattacke im Vorjahr wird ziemlich gemütlich gestartet und so passiert bis Livigno nicht so viel. Die Rund 20 bis 25 Mann starke Gruppe funktioniert gut und ich versuche, mich möglichst zurückzuhalten. Als am Beginn der Steigung zur Forcola mit Thomas Gschnitzer einer der ganz grossen Favoriten das Tempo vorgibt, platziere ich mich direkt hinter ihm. «Blib geduldig», muss ich mir immer wieder einreden. Ich habe ein gutes Gefühl, dass ich die Beine dazu habe, jederzeit auszubrechen. Mein Plan ist aber, erst nach der letzten Galerie zu attackieren, solange nichts passiert. Und so kommt es auch, ich trete einige Male ordentlich in die Pedale und bis auf Mathias Nothegger scheint keiner folgen zu wollen oder zu können. Also kann ich bereits einige Meter vor der Passhöhe das Tempo wieder rausnehmen und die nächsten Punkte in der Bergwertung einfahren. In der Abfahrt von der Forcola kann ich die sichere Linie fahren und lasse das Feld die Lücke wieder zufahren, als es in die Steigung zum Berninapass geht. Meine Attacke scheint bei einigen Fahrern für Verwunderung zu sorgen. «Du fährst schon nur die Kurze, oder?», fragt mich Nothegger. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich im Sinn habe, die Lange zu fahren, und er scheint meinen Plan, auf die Bergwertung zu fahren entlarvt zu haben. Ich kenne Nothegger nur von dem, was über ihn gesagt und geschrieben wird. Er dominiert die Amateur-Radsportszene zweifelslos und ist auch heute der ganz grosse Favorit. Und er hat wohl auch im Sinn, die Bergwertung zu gewinnen. Dass er genau dann attackiert, als ich rund 1000 Meter vor der Passhöhe verpflegt werde (was er definitiv mitbekommen hat) kommentiere ich nicht weiter. Trotzdem schaffe ich es, an ihm dranzubleiben und kann ihn einige Meter vor der Passhöhe ein wenig distanzieren. So gewinne ich auch die maximale Punktzahl auf dem Berninapass und führe die Bergwertung nun mit 40 Punkten vor Nothegger mit 16 Punkten an. In der Abfahrt vom Berninapass schliesst sich die Gruppe von gut 15 Fahrern wieder zusammen und ich versuche, mich so gut es geht zu erholen und zu verstecken. Jetzt ist es definitiv die Aufgabe der Kurzstreckenfahrer, für Tempo zu sorgen. Und besonders Nicola Edelmann nimmt diese Aufgabe auf sich. Der spätere Sieger der Kurzstrecke macht sehr viel für das Tempo in der Gruppe. Als kurz nach Samedan dann der starke Regen einsetzt, wird das ganze noch ein wenig härter. Zwischendurch wird mir immer wieder mal kalt und der Fakt, dass in diesem flachen Stück in der Spitzengruppe immer wieder Lücken aufgehen zeigt, wie schnell gefahren wird. Ich komme vermeintlich gut durch die Baustellen und bin froh, als in S-chanf der Regen nachlässt. In der kurzen Steigung schaffen Nicola Edelmann und Patrick Schuler auszureissen, was das Tempo in der Gruppe nochmals erhöht und ich habe im falschen Moment zu viel Abstand und falle ein wenig aus der Gruppe heraus. Es fühlt sich irgendwie gerade schwerer an als normal, als ob ich mit nur 4 Bar Reifendruck fahren würde zum Beispiel. Diese Überlegung mache ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich bin dann einfach froh, als nach Zernez nur noch 7 Langstreckenfahrer übrigbleiben und das Tempo drastisch verlangsamt. Es bleibt Zeit zum Verpflegen, Regenjacken ausziehen und sich auf die kommende Herausforderung vorzubereiten: der Flüelapass. Ich fühle mich noch immer ziemlich gut und weiss, dass wenn ich in dieser Bergwertung punkte, die Chancen ziemlich gut sind, dass ich König des Engadin Radmarathons werde. So fahren wir in die Steigung und ich bin bereit, hier nochmals Gas zu geben. Doch jetzt merke ich, dass mein Hinterrad quasi platt ist. Ich rufe das meinen Eltern zu, die darauf warten, mich zu verpflegen. Im Nachhinein kann man sich schon fragen, wieso ich beispielsweise kein «Schaum» dabeihatte. Ich entscheide mich dazu, den kaputten Schlauch einfach aufzupumpen. Es scheint sich um einen «Schleicher» zu handeln und ich möchte möglichst wenig Zeit verlieren, um vielleicht trotzdem noch Punkte auf dem Flüelapass zu holen. Meine Eltern sind bei fast jedem Rennen mit dabei, geben alles, um mich best möglichst zu supporten. Diesmal liessen sie leider die Fahrradpumpe im Auto rund 150 Meter weiter unten liegen. Das führt aber dazu, dass ich weiter Zeit verliere und so wird das Unterfangen immer unrealistischer. Ich überlege mir verschiedene Szenarien und versuche einfach, möglichst schnell den Berg hoch zu fahren. Aber ich verliere natürlich weiter Luft und irgendwann ist mein Hinterrad komplett platt. Ernüchtert muss ich einsehen, dass ich auf dem Flüela keine Bergpunkte holen werde. Als ich die Passhöhe erreiche steht mein Vater bereit, um den Schlauch zu wechseln. Ich nutze die Zeit, um mich gut zu verpflegen. Ich möchte das Rennen eigentlich gerne fertig fahren. Als mein Vater das reparierte Hinterrad wieder einbaut und am Horizont eine vierköpfige Gruppe anrollt, möchte ich mich dieser anschliessen, um so wenigstens nicht allein weiterfahren zu müssen. Doch als ich auf mein Rad steige, merke ich, dass der Reifen an einer Stelle über die Felge gerutscht ist, was ein erneutes Ausbauen des Rads und reparieren erfordert. In diesem Moment beginne ich in den vom Regen immer noch nassen Kleider zu frieren und entscheide mich, das Rennen aufzugeben - zum ersten Mal in meiner Karriere. Von aussen mag das vielleicht ein nicht ganz nachvollziehbarer Entscheid sein. Zu diesem Zeitpunkt ist aber klar, dass ich die Bergwertung nur noch gewinnen könnte, wenn Mathias Nothegger das Rennen aus irgendeinem Grund nicht beenden kann. Ich habe am Flüelapass sehr viel Energie liegen gelassen, da ich versucht habe den Schaden möglichst klein zu halten. Ich habe kalt, da meine Kleider immer noch nass sind vom Regen und es kann weitere Regenschauer geben. Mit diesen Voraussetzungen noch weitere 100 Kilometer und gut 1500 Höhenmeter zu fahren, ohne dabei eine Chance auf die von mir angepeilte Bergwertung zu haben, macht in meinen Augen nicht mehr so Sinn. Dazu kommt, dass ich noch eine lange und harte zweite Saisonhälfte vor mir habe. Eine Erkältung oder eine extreme Erschöpfung sind im Hinblick auf den weiteren Saisonverlauf möglichst zu verhindern. So bin ich auch einige Stunden nach diesem Entscheid davon überzogen, dass richtige gemacht zu haben.
Natürlich ist es extrem schade, dass das an meinem Heimrennen passiert. Ich habe aber bis zu diesem Zeitpunkt mit meiner offensiven Fahrweise das Rennen mitgestaltet und alles gegeben, meinen Plan umzusetzen, ich habe gezeigt, dass ich mit den Schnellsten mitfahren kann. Mit meinen 21 Jahren stehen mir noch einige Jahre bevor und es wird nicht die letzte Möglichkeit gewesen sein, an meinem Heimrennen zu zeigen, zu was ich fähig bin. Jetzt stehen noch ein paar intensive Trainingstage an, bevor ich Mitte Juli 4 Tage im Sommerlager der CEVI Ostschweiz den Kopf mal komplett abschalten, um dann für die grossen Aufgaben Ende Juli und im August bereit zu sein.
Ich kann mich noch gut an die erste Austragung des Engadin Bike Giros im Jahr 2016 erinnern. Am Freitag erreichte ich am Prolog den zweiten Rang in der Herren Fun 1 Kategorie, direkt hinter meinem Cousin Nicolà und nur wenige Stunden später hatte ich meine Matura-Diplomfeier. In der Austragung 2017 hatte ich am Samstag bei der zweiten Etappe einen richtig üblen Hungerast. Letztes Jahr lief es eigentlich ganz ok und ich holte mit dem 24. Schlussrang meine ersten zwei UCI-Punkte überhaupt.
Nach dem zweiten Rang bei der Alpenchallenge vor 2 Wochen bin ich zuversichtlich, dass die Form stimmt. Der viele Schnee machte ein Training auf der Originalstrecke lange unmöglich. Trotzdem konnte ich in den letzten Wochen fast jeden Meter der Strecke mindestens ein Mal abfahren. Ich fühle mich also körperlich und mental bereit für die Herausforderung der nächsten drei Tage.
Freitag, 28.Juni, Prolog, 23 KM / 550 HM
Ursprünglich sollte der Prolog auf dem Piz Nair starten, der viele Schnee machte das aber unmöglich und so wird auf der Corviglia gestartet. Von da aus geht es über den WM-Flow-Trail runter nach Salastrains und von da aus bis nach St.Moritz. Vom St.Moritzersee geht es dann durchs Dorf und durch die berühmte Bobbahn nach Celerina, hoch zum Fernsehturm und dann ins Ziel auf Salastrains. Mit der Startnummer 27 starte ich um 12:13:00 ins Rennen. Es ist das erste Mal, dass ich ein Rennen mit einer Abfahrt starte. Ich versuche mich bewusst ein bisschen zurückzunehmen und nicht direkt alles zu riskieren, aber trotzdem möglichst flüssig durch den Flow-Trail zu kommen. Ich finde ziemlich schnell einen guten Rhythmus und komme gut durch den Trail. Nachher kommen einige ziemlich schnelle Abschnitte. Hier merke ich schon, dass es ein Vorteil ist, wenn man die Strecke gut kennt. Auch der Rest der Abfahrt fühlt sich eigentlich ziemlich schnell und kontrolliert an. Trotzdem bin ich froh, als ich die Talstation der Signalbahn erreiche und ohne wirklich viel Zeit zu verlieren die Abfahrt hinter mir lassen kann. Der Rest des Prologs ist eigentlich schnell erklärt: ich finde in den Aufstiegen jeweils schnell einen guten Rhythmus, den ich durchziehen kann. Es ist ein bisschen ein abwägen zwischen «möglichst schnell sein» und «nicht zu viele Körner verschiessen». Letztendlich gelingt mir das nicht schlecht und ich werde 18. mit 3:43 Minuten Rückstand auf den Sieger Thomas Litscher. Es ist alles noch relativ nahe zusammen. Die Erfahrung aus den bisherigen Rennen hat gezeigt, dass ich dieses Jahr auf den längeren Distanzen besser zurechtkomme als bei den kurzen und spritzigen Rennen. Daher male ich mir auch Chancen aus, noch ein zwei Ränge weiter nach vorne zu kommen.
Die Erholung und die Ernährung sind wohl fast die zwei wichtigsten Faktoren bei Etappenrennen und so beginnt bereits direkt nach dem Prolog die Vorbereitung für die zweite Etappe. Mit genügend Schlaf und vollen Energiespeichern sollte ich auch für die zweite Etappe gewappnet sein.
Samstag, 29.Juni, 2.Etappe, 76 KM / 2200 HM
Um 6 Uhr klingelt der Wecker. Gestern Abend war eigentlich alles so, wie es immer ist vor einem Rennen. Ich bin ein wenig angespannt aber nicht wirklich nervös, denn ich weiss ja, was auf mich zu kommt. Doch dann kommt dieser Anruf, dass Dani vom Berninasport auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Mir ist zu diesem Zeitpunkt gar nicht so bewusst, was das heisst.
Als ich um 6 Uhr aufstehe, ist meine Mutter bereits wach und schliesst mich in die Arme. Sie soll mir von Dani ausrichten, dass ich heute alles geben soll für ihn. Dani hat eine instabile Fraktur des siebten Halswirbels und wird heute mit der Rega nach Chur geflogen, wo er operiert wird. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich im Frühling 2015 zum ersten Mal den Berninasport betrat, um ein neues Mountainbike zu kaufen. Von da an steht Dani zu 100 Prozent hinter mir. Ich hatte noch nicht ein Problem, welches er nicht lösen konnte. Ohne Dani würde ich nicht da stehen, wo ich jetzt bin. Zu allem hin sind Dani und seine Familie über die Jahre zu guten Freunden geworden und ich brauch nicht zu erklären, dass mich Dani’s Unfall schwer schockiert und betroffen macht. Natürlich werde ich alles geben für ihn.
Ich versuche mich dann vor dem Rennen trotzdem auf mich und die anstehende Herausforderung zu konzentrieren. Zusammen mit Kilian gehe ich in der schon warmen Engadiner Morgensonne zum Einfahren und pünktlich um 9 Uhr ertönt dann der Startschuss. Es wird extrem schnell gestartet, fast wie an einem Crosscountry-Rennen, dass nach knapp 90 Minuten zu Ende ist. So dauert es auch nicht lange, bis ich die Spitze ziehen lassen muss. Doch ich bin nicht der Einzige, dem es so geht und so bildet sich eine grosse Verfolgergruppe. Kurz vor der ersten technischen Abfahrt setze ich mich an die Spitze der Gruppe, denn ich kenne den Trail sehr gut und weiss, dass ich da die anderen ein wenig distanzieren kann. So kommt es auch und bis auf einen Fahrer kann keiner folgen. Zusammen schaffen wir dann auch, die Lücke zu einer kleineren Gruppe vor uns zu schliessen. Es dauert aber nicht lange, bis hinter uns die nächste grössere Gruppe anrauscht und so sind wir rund 10 Fahrer, die durch den Stazerwald in Richtung Pontresina fahren. Mit hohem Tempo fahren wir über den Single-Trail in Richtung Morteratsch. Die darauffolgende technisch anspruchsvolle Abfahrt kenne ich eigentlich sehr gut und weiss, wo die schnellste Linie ist. Aus dem nichts stürze ich aber an einer eigentlich harmlosen Stelle. Es passiert mir nichts, aber schon finde ich mich am Ende der Gruppe wieder. Der Anschluss ist aber schnell wiederhergestellt, die Gruppe aber ziemlich in die Länge gezogen. So muss ich mit Remo Fischer in der schnellen Passage zurück nach Pontresina erstmals die Lücke wieder komplett schliessen und noch bevor wir Pontresina wieder erreichen, gelingt dies auch Heinrich Haussler, Strassenprofi bei Bahrain Merida und Etappensieger bei der Tour de France. Die grosse Gruppe ist also wieder zusammen und an dem ändert sich auch nichts, als wir wiederum am Stazersee vorbeifahren und den Trail nach Celerina passieren. Die Gruppe funktioniert gut und so muss ich nicht all zu viel Kräfte investieren. Als wir Punt Muragl schon hinter uns gelassen und den Flaz auf Höhe Flugplatz überquert haben, durchqueren wir am Fusse vom Muottas Muragl sehr viel Restholz einer Lawine. In diesem Teil und dem darauffolgenden Abschnitt kann ich allein dadurch, dass ich die Strecke sehr gut kenne, einige Sekunden Zeit rausfahren. Diese Zeit kommt mir gerade recht, um mich nochmals gut zu verpflegen. Es geht flach weiter am Gravatschasee vorbei nach Bever und ein Stück in Richtung Spinas. Ich setze mich an die Spitze der Gruppe, weil ich den jetzt gleich kommenden Trail sehr gut kenne und mich da ein wenig absetzen möchte. Mein Vorhaben gelingt mir und ich kann mich zusammen mit Heinrich Haussler lösen und in den Aufstieg nach Alp Muntatsch fahren. Ich möchte einfach so lange es geht an Haussler dranbleiben, denn als Strassenprofi hat er bestimmt die nötige Kraft, hier den Unterschied zu machen. Von hinten nähert sich Calle Friberg aus Schweden und kann zu uns aufschliessen. Als Calle uns überholt, ziehe ich mit und kann bis zur Alp Muntatsch mit ihm mitfahren. Der Abschnitt von Alp Muntatsch nach Marguns fahre ich dann lange alleine, bis bei einem der vielen Schneefelder auf ein Mal Simon Zahner an mir dran ist, dicht gefolgt von Haussler. Ich möchte unbedingt als erster in die Abfahrt nach Marguns und so gebe ich auf den letzten Metern vor der Abfahrt nochmals ziemlich Gas. Es gelingt mir, in der Abfahrt nach Marguns rund 30 Sekunden auf Haussler und Zahner herauszufahren, was mich umso mehr motiviert, im Aufstieg nach Glüna und über den Speichersee nach Corviglia weiter Gas zu geben, um den Vorsprung zu vergrössern. Jetzt folgt der Olympia-Flowtrail. Ich habe am Anfang kurz ein wenig Mühe, den flüssigen Rhythmus zu finden, was mir dann aber noch vor der Hälfte gelingt und so verliere ich nicht viel Zeit in dieser Abfahrt. Jetzt ist es nicht mehr so weit bis ins Ziel. Es geht noch ein paar Höhenmeter hoch, bevor wir den Fopettas Flowtrail und den anschliessenden Singletrail nach Champfer fahren. Von da aus geht es dann noch ein paar Hundert Meter Richtung St.Moritz und dann direkt ins Ziel nach Silvaplana. Doch im Anstieg zur Paradiso Hütte rauscht Heinrich Haussler an mir vorbei und dieses Mal kann ich nicht lange mithalten. Ich merke auch, dass Simon Zahner näherkommt und so lasse ich ihn auffahren, um dann mit ihm die letzten eher flachen Kilometer zu absolvieren. In der Abfahrt bleibe aber trotzdem ich vorne, da ich auch diese Trails in- und auswendig kenne und als wir in Champfer ankommen scheint es wirklich so, als hätten wir den Rückstand auf Haussler minimieren können. Das lässt uns beide nochmals hoffen und wir wechseln uns auf den letzten Kilometern gut ab. Es reicht zwar nicht mehr ganz, Haussler noch einzuholen aber wir können noch die eine oder andere wertvolle Sekunde fürs Gesamtklassement rausfahren. Auf den letzten Metern überrascht mich Zahner dann noch mit einem Schlussspurt. Eigentlich dachte ich, dass um Rang 16 oder 17 an einem Etappenrennen nicht unbedingt gesprintet wird, aber da habe ich auch etwas dazu gelernt. Trotzdem wird es auf der Ziellinie noch ziemlich knapp und ich meinte eigentlich die Nase vorne zu haben. Die Rangliste bringt dann aber die Gewissheit, dass Zahner Rang 16 belegt und ich auf dem 17.Rang klassiert werde. So oder so bin ich mehr als zufrieden mit dieser Etappe und ich kann mich auch im Gesamtklassement um 2 Ränge verbessern, so bin ich neu 16. mit einer knappen Minute Rückstand auf Haussler. Auch heute heisst es direkt «nach dem Rennen ist vor dem Rennen» und so geht das gewohnte Prozedere wieder los: Woo Reset trinken, etwas essen, ausfahren. Die heutige Etappe und die Wärme haben mir einiges abverlangt und so ist die richtige Erholung umso wichtiger. Aber es geht allen gleich und so bin ich zuversichtlich, dass ich morgen ein ähnlich gutes Resultat abrufen kann.
Sonntag, 30.Juni, 3.Etappe, 65 KM / 2200 HM
Dani wurde inzwischen operiert und es ist alles gut verlaufen. Der Schock sitzt aber immer noch sehr tief und auch heute Morgen sind meine Gedanken oft bei ihm. Aber wie gestern versuche ich mich abzulenken und auf das Rennen zu konzentrieren. Um 9 Uhr geht es dann also wieder los. Dieses Mal wird wesentlich gemütlicher gestartet, was wohl den meisten im Feld recht ist. Zu erst geht es ein Stück dem Silvaplanersee entlang Richtung Sils. Die gemütliche Fahrweise ist jedoch schnell vorbei, als es in die erste Steigung geht. Ich bin etwa an 25. Stelle positioniert und merke schnell, dass ein Stück vor mir die ersten Lücken aufgehen. So entscheide ich aus dem Bauch heraus, dass ich diese Lücke schliessen möchte und schaffe es kurz darauf, den Anschluss zur Spitzengruppe von knapp 15 Fahrern zu machen. In dieser Gruppe kann ich mich die ersten Kilometer lang, am Fextal vorbei bis kurz vor der technisch anspruchsvollen Abfahrt nach Isola halten. Als einem Fahrer zwei Positionen vor mir ein Konzentrationsfehler passiert und er an einem Weiddurchgang zu Fall kommt, verliere ich und zwei weitere Fahrer den Anschluss, welchen wir auch in der darauffolgenden Abfahrt und dem Flachstück zurück nach Silvaplana nicht wiederherstellen können. So fahren wir zu viert (Daniel Gathof GER, Emilien Barben SUI, Rob Vanden Haesevelde BEL) ziemlich zügig, um vielleicht doch noch den Anschluss zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns auf den Plätzen 11 bis 14. Wir fahren durch Silvaplana und in Richtung Champfer. Mir wird langsam bewusst, dass ich heute ein richtig gutes Rennen zeigen kann. Es kann aber auch sein, dass mir irgendwann die Kraft ausgeht, denn auch die heutige Etappe ist ziemlich hart. Aber jetzt ist es sowieso zu spät, um den Entscheid mit dieser Gruppe mitzugehen rückgängig zu machen. Das Tempo bleibt sehr hoch, auch als wir einen meiner Lieblings-Trails von Crest’ Alta nach Surlej runterfahren. Es ist wirklich ein Privileg, auf meinen «Hometrails» Rennen fahren zu dürfen. Weiter geht’s nach Champfer und hoch nach Salastrains. Der Belgier Vanden Haesevelde musste inzwischen abreissen lassen und so sind wir noch zu dritt. Ich merke aber, dass mir das Tempo von Gathof und Barben im Aufstieg zu hoch ist und so lasse ich sie im Aufstieg von Chantarella zur Alp Laret ziehen. Auf der Alp Laret habe ich rund 30 Sekunden Rückstand auf das Duo. Nun kommt ein Abschnitt, den ich bestens kenne. Die schnelle Abfahrt von der Alp Saluver runter zum Skilift in Samedan bin ich dieses Jahr sehr oft gefahren, als es noch zu viel Schnee hatte für die sämtlichen Trails über der Baumgrenze. Ich kenne diesen Abschnitt blind und so schaffe ich kurz nach der Verpflegung am Skilift in Samedan, wo ich als kleiner Junge das Skifahren gelernt habe, den Anschluss zu den zwei anderen wieder. Beflügelt von den vielen Anfeuerungsrufe, davon, dass ich bis auf den Führenden alle Fahrer vor mir sehe und wahrscheinlich auch weil ich weiss, was jetzt auf uns zu kommt, kann ich die anderen zwei schnell einholen. Jetzt folgt wohl der steilste Abschnitt des ganzen Giros: quasi parallel zum Skilift geht es berghoch. Und schon Fäde Junior bekam diese Steigung zu spüren, als er im Skilift an der steilsten Stelle stand und dieser abgestellt wurde. Nur kann ich jetzt nicht wie damals einfach den Liftbügel loslassen und wieder ins Tal fahren. Jetzt heisst es beissen und hochwürgen. Die extrem steilen Aufstiege liegen mir, und so komme ich auch hier verhältnismässig gut hoch und kann alles fahren. Ich weiss, dass mich Gathof und Barben wieder einholen werden, aber das Gefühl zu fahren, wenn andere absteigen müssen tut sehr gut. Nach der kurzen Erholung in der Abfahrt zum Schiesstand geht das Leiden in die zweite Runde. Es steht auf Grund des vielen Schnees am Suvrettapass derselbe Abschnitt an wie gestern: Alp Muntatsch - Marguns – Glüna – Corviglia. Ich fahre meinen Rhythmus und kann den Rückstand auf die zwei anderen Fahrer einigermassen klein halten. Erst als die vielen Laufpassagen über die Schneefelder kommen und ich ein wenig aus dem Rhythmus falle, merke ich, dass von hinten Vanden Haesevelde aufschliesst. Das passiert aber genau zum richtigen Zeitpunkt, denn ich kann sein Hinterrad halten und mit ihm die Abfahrt nach Marguns fahren. Kurz nach Marguns stelle ich fest, dass ich mit dem rechten Fuss aussergewöhnlich viel Spiel habe. Entweder ist das Pedal kaputt oder das Schuhplättchen lose. Da ich aber früh im Rennen meine Satteltasche mit dem Werkzeug verloren habe, bleibt keine andere Option als weiterzufahren. Den Belgier muss ich etwa beim Lej Alv ziehen lassen. Ich denke, mit dem Problem am rechten Fuss komme ich schon noch ins Ziel. Ich weiss immer noch nicht genau, was überhaupt das Problem ist. Es stört eigentlich nicht gross beim Fahren, es ist einfach ein bisschen instabiler, aber das geht schon. Also fahre ich runter in Richtung Corviglia und auf den WM Flow-Trail. Langsam merke ich, dass die Energie nicht mehr ewig hält, aber ich sollte den aktuell 14.Platz ins Ziel bringen. Es ist nicht mehr so weit und hinter mir kann ich auch an weitübersichtlichen Stellen erstmals niemanden ausmachen. Also fahre ich weiter und vor mir liegt nur noch die technisch anspruchsvolle Via Engiadina. Es geht zuerst noch einige Meter hoch bevor dann die letzte Abfahrt nach Silvaplana folgt. Beides auf einem Singletrail, der es in sich hat. Auch diesen Abschnitt kenne ich gut und die Einfahrt in den Trail direkt aus der schnellen Abfahrt kenne ich auch gut genug, doch auf einmal fühlt sich an meinem rechten Fuss etwas… «F*&k…». Ich schaue nach unten und merke, dass das Schuhplättchen zwar noch im Pedal ist, aber nicht mehr an meinem Schuh. Klickpedale und Klickschuhe sind wohl eine der genialsten Erfindungen der Mountainbike-Geschichte. Jedoch ist das ein bisschen weniger genial, wenn die Schuhplatte nicht mehr am Schuh ist. Das ist etwa wie Langlaufen mit einem Turnschuh oder Skifahren ohne Kanten. «Na gut, das Beste daraus machen». Die Via Engiadina muss ich hoch erstmals laufen, verliere aber nicht so viel Zeit dabei. Von weitem kann ich Kirsten sehen. «Hesch en Schueh?», frage ich sie eher verzweifelt. Natürlich hat sie keinen Bikeschuh in meiner Grösse dabei, was für ein Zufall. Am Freitag vor dem Rennen habe ich zum ersten Mal einen Rucksack gepackt mit diversem Ersatzmaterial. Als ich eigentlich Kabelbinder gesucht habe, bin ich zufällig über meine alten Schuhe gestolpert und dachte «wer weiss für was die mal gut sein können» und packte sie ein. Also habe ich Kirsten gesagt, sie soll meiner Mutter anrufen und sagen, dass ich den rechten Schuh brauche. Unterdessen kommt von hinten langsam Fabio Spena angefahren, jedoch kann er mich erst ganz zu Oberst überholen. Der schwierige Teil folgt aber erst jetzt: die Abfahrt. Irgendwie schaffe ich es, nicht zu stürzen und da steht auch schon meine Mutter mit dem Schuh. Keine 20 Sekunde dauert der Schuhwechsel und so kann ich den Rest der Abfahrt sicher und mit beiden Füssen auf den Pedalen bestreiten. Fabio Spena kann ich zwar nicht mehr einholen aber im Ziel verliere ich lediglich 45 Sekunden auf ihn und rangiere mich auf dem guten 15.Platz. Auch in der Gesamtwertung kann ich noch einen Sprung nach vorne machen und werde ebenfalls 15. mit gut 45 Minuten Rückstand auf den Sieger, bei einer totalen Rennzeit von 8:29:34. Damit hole ich zum zweiten Mal in meiner Karriere UCI-Punkte, 16 sind es dieses Mal (letztes Jahr 2).
Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung am gesamten Wochenende und bin aber vor allem froh, dass es Dani den Umständen entsprechend gut geht. Ein Bikerennen verliert ziemlich schnell an Stellenwert, wenn es um die Gesundheit eines guten Freundes geht.
Danke allen, die in irgendeiner Form an dieser Leistung beteiligt sind. Danke an Markus, Luca, Nicolà, Lorena, Micha, Dani, Giorgio, Lena, Marco, Marion, Corina, Chiara, die mich irgendwo an diesem Wochenende verpflegt oder mit Wasser versorgt haben. Danke an Dani und Sebi vom Berninasport für den Service zwischen den Rennen. Danke an Erik für die gute Massage auf der Terrasse am Samstagabend. Danke allen Helfern und der Organisation des Rennens vor meiner Haustür. Danke für die Einladung zu meinem Heimrennen. Und einen speziellen Dank allen, die mich – zufällig oder gewollt – irgendwo an der Strecke angefeuert haben. Wenn man von anderen Fahrern angesprochen und gefragt wird, ob man von hier sei, weil mich so viele kennen, ist das ein schönes Kompliment. Ich freue mich schon jetzt auf den Engadin Bikegiro 2020.
Immer wieder werde ich gefragt, ob ich jetzt Mountainbiker oder Rennradfahrer bin. Nun, ich fahre schon primär Mountainbike-Marathon Rennen, aber auch Strassenrennen machen mir sehr viel Spass. Spätestens seit letztem Jahr ist schon auch ein bisschen «Strassenfahrer» in mir vorhanden. Sei es durch den Sieg am Engadin Radmarathon oder dem dramatischen zweiten Platz an der Tortour Challenge: ich fühle mich auch auf dem Rennrad wohl. So kam es dann über Winter auch zur Zusammenarbeit mit dem Engadin Radmarathon, für den ich seit dieser Saison als Eventbotschafter unterwegs bin. Damit war bei der Saisonplanung auch klar, dass ich am zweiten grossen Radmarathon in Graubünden, der Alpen Challenge Lenzerheide am Start sein möchte.
Das Rennen startet auf der Lenzerheide und führt dann neutralisiert runter bis nach Tiefencastel. Von da aus wird erst der Albulapass in Angriff genommen, bevor durchs Engadin an meinem Wohnort Samedan vorbei nach Silvaplana gefahren wird. Über den Julierpass und die Bergorte Saluof und Mon führt das Rennen wieder nach Tiefencastel, von wo aus die letzte Steigung des Tages wieder hinauf zur Biathlonarena auf der Lenzerheide führt. Mit knapp 120 Kilometern und fast 3000 Höhenmetern ist das Rennen wie gemacht für Bergfahrer wie mich. So rechne ich mir schon Chancen aus, wenigstens um den Sieg mitzufahren.
Am Sonntagmorgen wird bei relativ tiefen Temperaturen um 7:00 gestartet, und ich versuche mich direkt hinter der Spitze einzureihen. Auch wenn die erste Abfahrt neutralisiert erfolgt, heisst das nicht, dass man einfach gemütlich runterrollen kann. Bei solch einem grossen Feld ist besondere Vorsicht geboten. Die meisten Fahrer sind es sich nicht gewohnt im Feld zu fahren und so muss man voll bei der Sache sein. Es geht alles gut und wir erreichen Tiefencastel, wo das Rennen freigegeben wird. Doch es passiert erst Mal nicht viel und so kann ich mich noch ein wenig einfahren. Ich versuche mich eher im Feld zu verstecken und rechne damit, dass dann spätestens ab Filisur die ersten Attacken gefahren werden. Es bleibt also ein wenig Zeit, ein paar Worte mit anderen Fahrern zu wechseln. Vor Filisur arbeite ich mich langsam in die ersten ca. 10 Fahrer, da ich mit Tempoverschärfungen rechne. Doch es passiert auch da erst Mal nicht viel. Am «Bergünerstei» versuche ich ein erstes Mal, das Tempo ein bisschen zu erhöhen, denn bis zu diesem Zeitpunkt zählt die Spitzengruppe immer noch etwa 30 Fahrer.
Einige Fahrer müssen abreissen lassen, aber die Mehrheit kann dranbleiben. Ich merke aber, dass ich heute wohl zu den stärksten Fahrern am Berg gehöre. Auf dem flacheren Stück nach Bergün versuche ich mich wieder ein wenig im Windschatten zu verkriechen. Mir wäre am liebsten, wenn sich eine kleine Gruppe lösen würde. Kleinere Gruppen funktionieren meist besser als grosse, und als Bergfahrer liegt es auch in meinem Interesse, den Unterschied am Berg zu machen, auch wenn ich weiss, dass mit dem Julierpass und der Steigung zur Lenzerheide noch genug Höhenmeter warten. Also ist mein nächster Versuch die Brechstange. Im relativ steilen Pflastersteinabschnitt in Bergün drücke ich mal ordentlich in die Pedale und hoffe, dass ich vielleicht mit Gewalt die grosse Gruppe sprengen kann. Aber auch das funktioniert nicht so richtig, ich kann zwar eine Lücke aufreissen, aber als ich merke, dass keiner folgt, breche ich das Vorhaben ab. Es scheint wohl so, als wäre Geduld das einzige Mittel, das heute hilft. Und so entscheide ich mich, mich zwar an der Führungsarbeit zu beteiligen und für ein gutes Tempo zu sorgen, meine Kräfte aber auch bisschen zu dosieren. Dieses Vorhaben funktioniert: immer mehr Fahrer müssen abreissen lassen und so sind wir auf dem Albula bei Nebel und 5 Grad nur noch eine siebenköpfige Spitzengruppe. Niki Hug hat bereits vor der Passhöhe das Tempo ein bisschen erhöht und wir können uns zu zweit ein wenig lösen. Dieser kleine Vorsprung wird in der technischen Abfahrt vom Albulapass nach La Punt ein wenig grösser, doch noch bevor ich mir überhaupt Gedanken machen kann, ob wir auf den Rest der Gruppe warten sollen oder nicht, wird diese Frage von der Rhätischen Bahn beantwortet. Die Bahnschranke in La Punt ist genau jetzt geschlossen und wir reihen uns hinter den Begleitmotorrädern und der Rennleitung ein, es kommt zum Zusammenschluss der Gruppe. Die Gruppe wird zwar um einen Fahrer kleiner, aber funktioniert sehr gut. In knapp 25 Minuten fliegen wir förmlich von La Punt nach Silvaplana. Jeder verrichtet seine Führungsarbeit und es bleibt auch Zeit sich zu verpflegen. Was mich natürlich sehr freut: kurz vor Samedan stehen meine Schwestern und Grosseltern auf der Brücke und feuern mich an. Generell ist es sehr speziell, auf den Strassen, die ich quasi täglich fahre, ein Rennen zu bestreiten.
Zu sechst erreichen wir Silvaplana und Niki Hug und ich können uns schon nach wenigen Metern von den anderen absetzen. Bei starkem Gegenwind arbeiten wir sehr gut zusammen und können einen komfortablen Vorsprung herausfahren. Nachdem im Engadin das Wetter eigentlich ziemlich gut war, ist es am Julierpass wiederum neblig und mit dem Wind ziemlich frisch. Zum Glück steht da Hämpi mit einer Zeitung am Strassenrand, die ich mir als Windschutz unters Trikot schieben kann, danke dafür. «Noch kurz verpflegen», denke ich mir. Doch Niki scheint andere Pläne zu haben. Er zieht durch und hat bereits eine kleine Lücke. Also werde ich mich in der Fläche zwischen Passhöhe und Bivio verpflegen und nun die Lücke wieder schliessen. Ich habe schon öfters feststellen müssen, dass meine 64 Kilogramm zwar einen beträchtlichen Vorteil in den Aufstiegen bringen, jedoch in den Abfahrten manchmal die entscheidenden km/h fehlen, obwohl ich auf dem Rahmen liege und mich möglichst klein mache. Und ich weiss, dass das auch heute im Vergleich mit Niki der Fall ist. Also muss ich in den Kurven möglichst schnell durchkommen, um Meter gut zu machen. Und da wäre es fast passiert: In einer Rechtskurve verliere ich auf ein Mal den Halt am Hinterrad und komme ins Rutschen. Dieses Gefühl, was auf dem Mountainbike nicht so schlimm ist, ist auf dem Rennrad ziemlich unangenehm. Es fehlt letztendlich nicht viel und ich wäre gestürzt. Natürlich erschrecke ich erstmal und muss mal kurz durchatmen. Mir wird aber auch bewusst, dass ich jetzt ziemlich Glück hatte und das definitiv nicht herausfordern muss. Also riskiere ich weniger und versuche dann, in den technisch einfacheren Passagen Zeit gut zu machen. Aber jetzt wird’s schwierig. In Bivio hat Niki schon über 30 Sekunden Vorsprung. Auf ein Mal bin ich komplett allein. Wo vorhin noch Begleitmotorräder, die Rennleitung und insbesondere mein Fluchtkollege waren, bin ich jetzt auf mich allein gestellt. Mit dieser Situation habe ich nicht gerechnet. Was passiert hinter mir? Arbeiten die zusammen und können wieder herankommen? Und was passiert vor mir? Kann Niki dieses Tempo halten? Egal, ich muss jetzt einfach weiterfahren. In der langen Kehre bei Marmorera sehe ich, dass Wolfgang näherkommt. Also lasse ich ihn aufschliessen, denn vor mir liegt noch das lange Flachstück vor Rona und ich bin froh, muss ich das nicht allein fahren. Auch mit Wolfgang funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut und ich kann mein mentales Tief überwinden. Ein Podestplatz wäre ja eigentlich schon sehr cool und noch ist nichts entschieden. Als es dann nochmals bergauf Richtung Salouf und Mon geht wird auch immer deutlicher, dass hinter uns wohl länger niemand mehr kommt. Ich lasse Wolfgang den Vortritt in der Abfahrt nach Tiefencastel in der Hoffnung, seine Linie kopieren zu können und an ihm dranzubleiben. Das gelingt mir ziemlich gut, und so erreichen wir Tiefencastel als Zweiter und Dritter. Nun geht es nochmals etwa 6 Kilometer hoch ins Ziel. Ich fühle mich eigentlich noch relativ gut und so kann ich Wolfgang bald mal distanzieren und den 2.Rang absichern. Nach 3:49.24 erreiche ich das Ziel in der Bitahlonarena mit rund 3 Minuten Rückstand auf den ersten Rang und 3 Minuten Vorsprung auf den Dritten.
Ich bin sehr zufrieden mit dem Resultat. Am Berg fühlte ich mich extrem wohl und nie wirklich in Schwierigkeiten. Natürlich ist es schade, ein Rennen in der Abfahrt aus der Hand zu geben. Mir war aber auch klar, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn macht, Kopf und Kragen zu riskieren. Dass ich in der Abfahrt noch Potenzial habe ist mir nicht ganz neu, auf dem Bike und dem Rennrad. Daran arbeite ich und es wird langsam besser, ich muss aber auch da einfach geduldig bleiben.
Vielen Dank meinen Eltern für den Support am Albula, an Semira für die Verpflegung in Silvaplana, an Hämpi für die Zeitung auf dem Julier, an Amy für die Übernachtungsmöglichkeit. Ein grosses Lob und Dank geht auch an die Organisation und besonders an die Streckensicherung. Ich habe mich zu jedem Zeitpunkt sehr sicher gefühlt und wir Fahrer konnten uns zu 100 Prozent auf das Rennen konzentrieren, dass ist bei Rennen, bei welchen die Strassen nicht gesperrt sind, keine Selbstverständlichkeit.
Nun steht vom 28. Bis 30. Juni mit dem Engadin Bike Giro das nächste Heimrennen vor der Türe. Ich freue mich sehr auf 3 Tage Raceaction auf meinen Hometrails.
Die letzten Jahre war der Ortler Bikemarathon für mich jeweils der Startschuss in die Marathonsaison. Auf der 51 Kilometer langen Strecke habe ich vor 2 Jahren meinen ersten Overall Podestplatz feiern können. Letztes Jahr fuhr ich mit Rang 8 zwar mein schlechtestes Ergebnis in der Marathonserie ein, konnte aber als bester Schweizer den ersten Grundstein für den Gesamtsieg der Serie legen. Mir gefällt die Strecke und das Rennen ist sehr gut organisiert.
Am letzten Marathonrennen in Singen lief nicht alles nach Plan. Nach Rennhälfte war die Luft draussen und ich musste mich 50 Kilometer irgendwie durch die Hügel des Hegaus kämpfen. Anschliessend habe ich das Rennen mit meinem Trainer Felix genau analysiert und versucht die Gründe für diesen Einbruch zu finden. Auch Marcel von Woo Nutrition hat mich umgehend kontaktiert und mir Tipps und Ratschläge gegeben, auf was ich beim nächsten Mal achten soll. Mit all diesen Tipps und Erfahrungen habe ich mich also auf die 90 Kilometer und 3000 Höhenmeter vom Ortler Bikemarathon vorbereitet.
Es ist 5 Uhr morgens, als mein Wecker mich aus dem tiefen Schlaf im Wohnmobil reisst. Aussergewöhnlich ruhig war diese Nacht vor einem Rennen, dass doch eine grosse Aussagekraft haben kann. Waren es in Singen einfach zu viele Dinge, die nicht passten? Oder stimmt meine Form nicht so ganz? Habe ich vielleicht zu viel trainiert? Auf all diese Fragen werde ich heute eine Antwort finden. Doch erstmals frühstücke ich ausgiebig. Bereits in den ersten Sonnenstrahlen geht es zum Einfahren, bevor kurz nach 8 Uhr der Startschuss fällt und ein grosses und stark besetztes Feld durch die Stadttore von Glurns rollt. Der Start erfolgt neutralisiert und doch beginnt der Positionskampf schon auf den ersten Metern. Mein Plan ist es, mich ans Hinterrad von Norbi (Norbert Amgarten) zu hängen. Norbi hat viel Erfahrung und weiss ganz genau, wann er die Spitze ziehen lassen muss, und so finde ich an seinem Hinterrad bald einen guten Rhythmus. Der erste Aufstieg zieht sich mit fast 20 Kilometern und gut über 1000 Höhenmeter ins winterliche Skigebiet Watles. Doch noch im ersten Aufstieg muss ich Norbi und weitere Fahrer ziehen lassen. Ich merke, dass ich so ein bisschen Mühe mit Atmen habe, was dazu führt, dass auch noch weitere Fahrer von hinten an mir vorbeifahren. Jetzt einfach meinen Rhythmus fahren und auch noch die letzten Höhenmeter des ersten Aufstiegs durchbringen, um nachher in der Abfahrt bisschen zu erholen. So schaffe ich es etwa an 40. Position den Pfaffensee zu passieren. In der Abfahrt gelingt es mir dann, mehrere Fahrer einzuholen und sogar zu distanzieren. Die Abfahrten waren in Vergangenheit eher eine Schwäche von mir und es gibt mir mental schon ein bisschen einen Boost zu merken, dass ich da langsam gut mithalten kann. Nun gut, ich kann zwar zu drei Fahrern aufschliessen, aber als es dann in die nächste Steigung geht, muss ich zwei von ihnen ziehen lassen. Es geht nicht mehr gerade viel, und so langsam beginnt mir Verschiedenes durch den Kopf zu gehen. Doch schon ist wieder Konzentration gefragt, denn es geht in die nächste Abfahrt und kurz darauf kommt der Zusammenschluss mit der Kurzstrecke, was noch mehr Konzentration erfordert. Im Flachstück vor dem Reschensee sind wir zu zweit und schlängeln uns irgendwie rechts und links an den Hobbyfahrern der 51-Kilometerstrecke vorbei. Als ich den anderen Fahrer zu einer Ablösung auffordere, verweigert der, weil bei ihm die Krämpfe kommen. Noch bevor ich mich entscheide, ob ich jetzt weiterführe oder auf die nächste Gruppe von hinten «warten» soll rauschen Lars (Zumstein) und Adrian (Jäggi) mit rund 7 weiteren Fahrern im Windschatten an. So hat sich meine Frage sowieso erübrigt, und ich hänge mich dem Schnellzug an. Wir sind nun eine etwa 10-köpfige Gruppe, und kurz nach der Verpflegung an der Staumauer am Reschensee möchte Adrian aufs Tempo drücken, doch ich kann nicht mitziehen. Die Atemprobleme werden immer stärker und ich realisiere, dass es jetzt wirklich ums «Überleben» in dieser Gruppe geht und ich muss irgendwie dranbleiben. Als Letzter falle ich mehrere Male einige Meter zurück aber schaffe es jedes Mal knapp die Lücke wieder zu schliessen. «Was ist los?», frage ich mich. Ich merke, dass irgendwie einfach zu wenig Luft in meine Lunge fliesst. Aber es geht gerade nochmals gut und ich kann die Gruppe bis zum Wendepunkt halten und jetzt weht ein starker Rückenwind. «Jetzt kann ich mich sicher bisschen erholen», denke ich mir. Aber nein, Adrian und ein weiterer Fahrer drücken so extrem aufs Tempo, dass ich fast noch mehr Probleme habe, die Gruppe nicht zu verlieren. So reissen immer wieder Lücken auf, die zugefahren werden müssen. «Wenn die das durchhalten, fahren sie uns allen davon», denke ich mir. Und so kommt es auch. Gerade als es von der schnellen Kiesstrasse am See in den leicht ansteigenden Wald geht, sprengt es die Gruppe auseinander. Adrian und der andere Fahrer fahren vorne weg. Eine weitere Gruppe muss ich vor mir ziehen lassen und fahre mit Lars etwa an 40.Position. Er gibt mir zu verstehen, dass bei ihm die Luft bisschen draussen ist und er Krampferscheinungen hat. Leider muss er das Rennen später aufgeben. Ich fahre auf einen weiteren Fahrer aus der Gruppe auf, der langsam auch den Anschein macht, nicht mehr all zu frisch zu sein. «Es geht also auch anderen so wie mir», denke ich mir. Doch auf einmal merke ich, dass da doch noch Körner im Tank sind und die Atmung ist wieder freier. Ich führe wiederum eine kleinere Gruppe zusammen doch noch bevor es in den Singeltrail nach Planeil geht, müssen die drei Mitstreiter abreissen lassen. Jetzt läuft’s! Ich kann weitere Fahrer einholen und hinter mir lassen, bis Adrian der einzige aus der ehemaligen Gruppe noch vor mir ist. Unweit von ihm befindet sich auch Marek Sülzle. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass Sülzle und Adrian zu diesem Zeitpunkt zweiter und dritter in der U23-Wertung sind und ich als vierter also nur unweit von einem Podestplatz. Jetzt liegt der letzte längere Aufstieg vor mir. Am Fusse dieses Aufstiegs habe ich noch rund 40 Sekunden Rückstand auf die beiden. Mein Vater ruft mir aber zu, dass beide nicht mehr so frisch aussehen und ich die noch holen kann. Jetzt habe ich Blut geleckt. Ich sehe beide in der Ferne und merke, dass ich heranfahren kann. Ich sehe, dass beide ziemlich am kämpfen sind und kurz bevor die Steigung zu Ende ist kann ich Adrian überholen. Ich versuche nochmals ein bisschen schneller zu fahren. Ich war im Februar mit Adrian im Trainingslager auf Mallorca und weiss, dass eine seiner Stärken in den Abfahrten liegt. Ich möchte ihn also noch vor der Abfahrt distanzieren und wenn möglich auch Sülzle noch einholen. Beides gelingt mir, ich gehe aber nur wenige Meter vor dem deutschen U23 Fahrer in die Abfahrt. Mit den vielen, meist langsameren Fahrern der Kurzstrecke kommt es immer wieder zu heiklen Situationen. Es geht aber alles gut und wir können zu zweit auf Hansjürg Gerber auffahren, ein weitere Langdistanz-Fahrer. Ich versuche die beiden ein wenig zu distanzieren, was mir aber nur so halb gelingt und die zwei können in einem flacheren Stück die Lücke wieder schliessen. Knapp 15 Kilometer vor dem Ziel sind wir also zu dritt und können weitere Fahrer ein- und überholen. Einer von denen mag an uns dranbleiben und so fahren wir zu dritt in die schnelle Asphaltabfahrt von Matsch Richtung Churburg. Ich habe jetzt relativ viel Führungsarbeit gemacht und lasse mich ablösen, um mich nochmals ein bisschen erholen zu können. Im Windschatten kann ich gut mitrollen und ein wenig durchatmen. Es kommen noch zwei relativ kurze Anstiege und ein bisschen längerer, bevor es auf die schnelle Abfahrt und durch die Churburg zum letzten rund 5 Kilometer langen Flachstück geht. Hansjürg und den anderen Langdistanzfahrer können wir bereits am ersten kürzeren Anstieg abschütteln, doch Sülzle bleibt hartnäckig. Am allerletzten Anstieg denke ich mir «alles oder nichts!». Ich trete mit voller Kraft in die Pedale und komme weg. Jetzt konzentriert bleiben! Es folgt eine weitere sehr schnelle Abfahrt, erst auf Kies, nachher Asphalt. Kurz vor der Churburg wird es nochmals heikel mit den Kurzstrecken-Fahrern, aber es geht erneut alles gut. Erst als ich aus Schluderns rausfahre merke ich, dass ich irgendwo meinen Bidon verloren habe. Aber egal, jetzt einfach noch die letzten 5 Kilometer in der Fläche zurück nach Glurns bolzen. Ich weiss nicht genau wie gross mein Vorsprung ist, kann Sülzle aber auch auf den langen Geraden nicht sehen. Trotzdem fahre ich, als gäbe es kein Morgen. Ich habe keine Ahnung, wie ich Overall rangiert bin. Grundsätzlich habe ich mir auch nichts vorgenommen. Im ersten Jahr auf der langen Strecke geht es auch vor allem darum, Erfahrung zu sammeln und zu lernen, mit dieser Belastung umzugehen. Heute scheint mir das nicht schlecht zu gelingen. Einige hundert Meter vor dem Ziel bin ich mir sicher, dass das reicht und kann die letzten Meter geniessen. Ich erreiche das Ziel als 25. Und 2. in der U23 Kategorie.
Was für ein verrücktes Rennen. Vom etwa 45. Platz und dem «fast-aus-der-Gruppe-fallen» schaffe ich es noch, mich um 20 Ränge zu verbessern.
Dieses Rennen zeigt mir, dass es manchmal sehr schnell gehen kann und Kämpfen belohnt wird. Ich musste wirklich auf die Zähne beissen. Zum Zeitpunkt meiner Krise wusste ich ja nicht, dass das wieder besser wird und so habe ich mir viel Gedanken gemacht, vieles hinterfragt und schon fast begonnen, nach Erklärungen zu suchen. Eigentlich schlechte Voraussetzungen, nochmals aus einer Krise herauszufinden. Umso erstaunlicher ist es, dass es doch funktioniert hat. Erklärungen dafür zu finden ist schwierig. Möglicherweise entstanden die Atemprobleme durch den Heuschnupfen. Die Fragen, die ich mir am Morgen vor dem Rennen gestellt habe, sind nun auch beantwortet: die Form scheint langsam zu stimmen und ich bin auf dem richtigen Weg.
Das nächste Rennen wird die Alpenchallange auf der Lenzerheide sein, ein Rennradrennen über den Albula- und den Julierpass auf welches ich mich sehr freue. Ich hoffe, dass ich am 16.Juni an die guten Strassenrennen vom letzten Jahr anknüpfen kann.
Am vergangenen Sonntag stand für mich das zweite Marathonrennen der Saison an. Es handelte sich dabei wiederum um ein UCI Marathon Series-Rennen, also ein Rennen der allerhöchsten Kategorie. Dementsprechend stark war das Fahrerfeld besetzt, eine Top 20 Platzierung war für mich aus realistischer Sicht also fast nicht möglich. Das relativierte auch die aussergewöhnliche Vorbereitung in den Wochen vor dem Rennen.
Doch der Reihe nach: Nachdem ich im Januar, Februar und März zum allerersten Mal ein Profileben führte, war dann im April die 180-Grad-Kehrtwende angesagt: ich absolvierte einen vierwöchigen Zivildienst-Einsatz in der Kinderkrippe in St.Moritz. Die Umstellung zurück auf ein Vollzeitpensum war gross und so musste ich das Training wieder neu strukturieren. Abends nach fast 9 Stunden in der Kinderkrippe noch aufs Rad zu gehen, war nicht immer leicht, vor allem weil das Wetter im April oft noch ziemlich dürftig war. So war es keine Seltenheit, bei Regen oder sogar Schneefall zu trainieren. Diese Zeit war sehr intensiv und forderte gute Organisation und Disziplin. Nichtsdestotrotz war es eine gute Abwechslung vom Alltag und lehrte mich, mein Training so effizient wie möglich zu gestalten.
Seit 13 Jahren ist das Programm der ersten Maiferien-Woche gegeben: das Kinderlager der Kirchgemeinde Samedan für die Schülerinnen und Schüler der Gemeindeschule. Und so wollte ich auch dieses Jahr als Leiter dabei sein. Natürlich ist eine Woche Lageralltag und sehr wenig Trainingsstunden aus Trainingssicht nicht ideal. Für mich kam diese Woche aber wie gerufen: ich konnte seit langem eine Woche richtig abschalten und den Kopf frei bekommen, neue Motivation sammeln und vor allem wieder Mal sehen, dass das Leben nicht nur aus Sport besteht.
So sahen also die letzten 5 Wochen bei mir aus, bevor es dann am Samstag 11. Mai nach Singen ging. Mit freiem Kopf und körperlich gut erholt, trainierte ich am Samstag noch auf Teilen der Rennstrecke bevor es dann am Sonntag um 10:30 auf die 98 Kilometer und 2800 Höhenmeter ging.
Es ist schon speziell, wenn man auf ein Mal mit den Besten seines Sports an der Startlinie steht. Das Feld ist sehr stark besetzt und ich starte aus dem 60. Startplatz. Es wird also keine leichte Sache werden, überhaupt nach vorne zu kommen. Nach dem Startschuss und einem Sturz gleich vor mir, den ich aber unbeschadet überstehe, ist das Tempo für die ersten paar Kilometer noch relativ angenehm. Nach knapp 5 Kilometern geht es dann in den ersten längeren Aufstieg, wo bereits ein Fahrer nach dem anderen abreissen lassen muss. Ich muss mehrmals schon früh sehr viel investieren, um den Anschluss an die Spitzengruppe nicht zu verlieren oder um bereits aufgerissene Lücken zu schliessen. Dass ich in dieser Phase des Rennens schon sehr viel Energie verliere, wird mir erst später richtig bewusst werden. Irgendwann passiert es dann eben doch, und ich verliere etwa an Position 25 liegend den Anschluss. Ich kann mich aber in einer Gruppe einreihen und so ein bisschen Kraft sparen. Die Strecke ist sehr unruhig und es geht ständig hoch oder runter, und so bleibt nie Zeit zum Erholen. Etwa bei Kilometer 20 realisiere ich, dass mein Sattel langsam runterrutscht und so muss ich kurz vom Rad steigen, um die Sattelklemme besser anzuziehen. So verliere ich gerade eine Gruppe und falle einige Plätze zurück. Das Rennen bleibt auch auf den nächsten Kilometern unruhig, aber ich schaffe es, nochmals die Lücke zur Gruppe zu schliessen und habe in den Aufstiegen das Gefühl, zu den stärkeren Fahrern in dieser Gruppe zu gehören. Dadurch lasse ich mich zu ein bisschen zu viel Führungsarbeit provozieren und verliere weiter wertvolle Energie. Bei Kilometer 30 steige ich in der Techzone nochmals kurz vom Rad, da mein Sattel immer noch nicht gut hält. Zu diesem Zeitpunkt liege ich etwa an Position 35 und verliere die Gruppe erneut. Hinter mir schliessen aber 4 Fahrer auf und fortan sind wir zu fünft unterwegs. Vorerst kann ich gut mithalten und fühle mich eigentlich noch relativ gut, spüre aber, dass der Sattel noch nicht wieder auf der idealen Höhe ist, was langsam ein bisschen Schmerzen verursacht. Dieses Mal möchte ich aber die Gruppe nicht verlieren und versuche durchzubeissen. Am steilsten Aufstieg der gesamten Strecke warten sehr viele Zuschauer, die bei jedem Fahrer komplett ausrasten. Das lässt mich ein bisschen härter in die Pedale treten und zwei der fünf Fahrer müssen abreissen lassen, was eigentlich gar nicht mein Ziel war. Die anderen zwei freut es aber und sie ermutigen mich, weiter Gas zu geben: «Die sind wir los, zieh durch». Ohne darüber nachzudenken, trete ich weiter ziemlich flott in die Pedale und lasse mich dann aber auch bald mal ablösen. Doch nach der ersten Runde können die zwei Fahrer mit einem dritten wieder aufschliessen, und so sind wir wieder sechs und ich habe erneut Energie für nichts verbraucht. Ich entschliesse mich dazu, jetzt halt doch vom Rad zu steigen und die Sattelhöhe richtig einzustellen. Und als ich wieder aufsteige merke ich, dass der Tank langsam leer ist. Zu diesem Zeitpunkt kann ich mir nicht erklären, was auschlaggebend für diese Krise ist. Jetzt ist es aber so und ich muss irgendwie durchkommen. Inzwischen überholen mich Fahrer um Fahrer und ich bin irgendwann komplett allein unterwegs. Solche Situationen sind für den Kopf nicht einfach. Zweifel und Fragen kommen auf. Was habe ich falsch gemacht? An was liegt es? Soll ich das Rennen überhaupt zu Ende fahren? Bei Kilometer 65 beantworte ich mir diese Frage mit «nein». Bei meinen Eltern, die in der Techzone bei KM80 sind, werde ich das Rennen beenden. Zum ersten Mal in meiner Karriere, zum ersten Mal DNF – Did Not Finish. Jetzt muss ich irgendwie bis zum Kilometer 80 kommen. Andere Fahrer habe ich schon lange keine mehr gesehen. Als ich durch ein kleines Dorf fahre, stehen da etwa 10 Kinder mit Fahnen und feuern mich an, als wäre ich der Erste. Wie lange die Spitze schon durch ist, kann ich nicht genau sagen, aber dass die mich immer noch so anfeuern, scheint etwas auszulösen in mir. Auf einmal überlege ich mir, das Rennen doch zu Ende zu fahren. Zeit und Rang sind egal, aber ich bin extra früher aus dem Kinderlager für dieses Rennen abgereist. Meine Eltern haben ihren Urlaub vorzeitig beendet und sind nach Singen gereist. All die Helfer und Streckenposten warten, bis der allerletzte Fahrer im Ziel ist. Manch einer wäre hier wohl aus dem Rennen gegangen. Aber vor 21.5 Jahren hatte man meinen Eltern auch gesagt, dass wohl manch einer «aus dem Rennen» gegangen wäre. Aber ich bin hier und ich ziehe das durch. «Ufgäh chasch bi de Post». Also halte ich in der Techzone zwar kurz an, um meine Eltern zu informieren und mal kurz durchzuatmen und fahre dann aber weiter. Und so langsam geht es auch wieder besser, und ich scheine mich zu erholen. Die Zweifel werden kleiner und ich freue mich, den Singletrail und die letzten Kilometer nochmals zu fahren. Zeit und Rang interessieren mich gar nicht, als ich nach knapp 100 Kilometern das Ziel in Singen erreiche. Ich bin primär froh, dass ich das Rennen beendet habe und all die negativen Gedanken und Zweifel, die mich fast zum Aufgeben gebracht hätten, besiegt habe.
Ich habe Fehler gemacht im Rennen und in der Vorbereitung. Physisch muss ich eine Niederlage wegstecken, aber psychisch habe ich heute viel dazugelernt und einen Schritt nach vorne gemacht.
Die Marathon Weltmeisterschaft 2019 findet in Grächen, im Wallis statt. Es ist 16 Jahre her seit der letzten Marathon-WM in der Schweiz. Mich in meiner ersten Saison auf der Langdistanz für die WM zu qualifizieren wird nicht leicht sein. Trotzdem möchte ich es versuchen, wer weiss wann es zur nächsten Heim-WM kommt.
Um an der WM teilnehmen zu können, bedingt es eine Top-20 Platzierung an einem UCI Marathon, ein Marathon Rennen der höchsten Kategorie. Einen ersten Versuch dafür möchte ich am Marathon World Series Rennen in Cambrils, Spanien starten. Die Idee ist, das Rennen mit einem Trainingslager zu verbinden, und so reise ich mit Lars am 22.März nach Spanien, wo am 24.März das Rennen stattfindet und wir nachher noch 3 Tage trainieren werden, bevor wir dann für weitere 3 Tage nach Finale Ligure weiterreisen.
Die Vorbereitungen auf das Rennen liefen gut und nicht zuletzt dank einem soliden Engadin Skimarathon (Rang 167 / 1:33:04,3) wurde das RTR (Radio e Televisiun Rumantsch) auf mich und mein Vorhaben aufmerksam und hat einen Videobeitrag darüber erstellt, der sogar auf SRF1 im Telesguard ausgestrahlt wurde. Nach der 14-stündigen Anreise und einem Trainingstag auf der Rennstrecke stand dann also das erste Rennen der Saison an.
Mit nur 63 Kilometern und knapp 1300 Höhenmetern ist das Rennen ziemlich kurz, aber technisch und physisch anspruchsvoll. So stehe ich um kurz vor halb 10 an der Startlinie an meinem ersten UCI Marathon. Rund 70 weitere Fahrer stehen vor mir im ersten Startblock, hinter mir die besten Fahrer der spanischen und der katalonischen Marathon Meisterschaften sowie hunderte weitere Fahrerinnen und Fahrer. Der Startschuss fällt und wie bei einem Crosscountry-Rennen geht es vom ersten Meter voll zur Sache. Ich muss bereits einiges investieren, um überhaupt ein paar Ränge nach vorne zu kommen. Die Stadt und somit auch den Asphalt lassen wir nach nur wenigen, sehr hektischen Kilometern bereits hinter uns, bevor es in einem ausgetrockneten und sehr staubigen Flussbett gut 15 Kilometer ins Landesinnere geht. Das Terrain ist sehr schwierig und immer wieder gibt es Sandpassagen, bei denen man zum Teil sogar vom Bike steigen muss und das alles bei enorm hohem Tempo. Die erste Feedzone passiere ich in der zweiten grösseren Gruppe um Rang 15 bis 35. Doch nur etwa 2 Kilometer später verliere ich den zuvor erhaltenen Bidon. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, umzukehren und den Bidon wieder aufzunehmen. Doch ich fahre weiter, was sich noch rächen wird. In einer kleineren Gruppe um Oliver Zurbrügg, dem anderen Schweizer am Start, kann ich aufwärts wie abwärts gut mithalten und in den Aufstiegen sogar den einen oder anderen Fahrer distanzieren. Nach etwa 35 Kilometern merke ich aber langsam, dass mir die Flüssigkeit fehlt. Ich beginne bei Zuschauern nach etwas zu Trinken zu fragen, was mal mehr und mal weniger erfolgreich ist. Nachdem ich bei der Verpflegungsstation kurz anhalte, um wenigstens dort ein paar Becher zu trinken (Bidons hatten sie keine), schliesst Oliver wieder zu mir auf und bietet mir ein paar Schluck aus seinem Bidon an, was ich sehr schätze. Trotzdem merke ich, dass so langsam auch die Konzentration nachlässt und so muss ich dann Fahrer um Fahrer ziehen lassen. Wenn sich eine Dehydration abzeichnet, ist es meist schon zu spät. Ich will mich irgendwie zurück zur Feedzone kämpfen, welche beim Kilometer 48 ist. Dort erhalte ich einen Bidon von Lars und befinde mich irgendwo um Rang 45 gerade in einer kleinen Gruppe. Ich möchte also einfach irgendwie die Gruppe halten, um nicht alleine bei Gegenwind zurück nach Cambrils zu fahren. Im Normalfall sollte es nicht so ein Problem sein, an einer Gruppe im Windschatten zu bleiben. Doch heute war es brutal hart. Einerseits fehlen mir im Vergleich mit den Spaniern einfach noch die Kilometer auf dem Rad und andererseits tue ich mich schwer mit dem für mich völlig unbekannten Untergrund. Viel Sand und grobe Steine machen das Fahren schwierig. Dazu kommt, dass diese Gruppe nochmals richtig Dampf macht. Bei einer Sandpassage kommt, was kommen musste: ich muss die Gruppe ziehen lassen. Nun also allein gegen den Wind und gegen den anspruchsvollen Untergrund, dazu ein wenig dehydriert und nicht mehr 100% konzentriert. Und es kommt noch schlimmer: ich kann auch die nachfolgenden Gruppen nicht mehr halten und verliere Rang um Rang. Am Schluss erreiche ich das Ziel als siebenundsiebzigster mit einem Rückstand von gut 19 Minuten auf den Sieger Tiago Ferreira, der Marathonweltmeister von 2016 und Vize-Weltmeister von 2017. Mit dem Rückstand bin ich eigentlich zufrieden, dass da einfach noch 75 Fahrer dazwischenfahren, zeigt die enorme Leistungsdichte auf. Und ich muss einsehen, dass eine Top-20-Platzierung bei diesem Rennen nie realistisch war.
Ich bin trotzdem sehr froh um die Erfahrung und es hat Spass gemacht, wieder Rennen zu fahren. Die Saison ist noch lange und ich freue mich auf die kommenden Rennen. Nach dem Rennen haben Lars und ich noch einige Tage gut trainiert und sind jetzt wieder gut zurück im Engadin. Für mich geht es am kommenden Sonntag in Rivera am Swisscup beim ersten CrossCountry-Rennen weiter.
Im letzten Herbst habe ich ein neues Sponsoringkonzept erstellt und einen Gönnerclub gegründet. Somit war ich in Cambrils unter anderem mit meinem neuen Hauptsponsor Engadin Radmarathon, welchen ich auch als Botschafter vertrete, auf dem Helm und der Trikotrückseite unterwegs. Zudem sind auch weitere Sponsoren wie FH Architektur, Schwarzenberger GmbH oder Update Fitness auf meinem Mountainbike präsent, was mich sehr freut. Auch der Gönnerclub wächst und wächst. Falls du auch Interesse hast, mich zu unterstützen, schau unbedingt hier vorbei! Mit 50 Franken bist Du dabei. Ich freue mich!
Bis zum Herbst 2018 habe ich so trainiert, wie ich es für richtig gehalten habe. Dass ich nicht alles falsch gemacht habe, zeigen die Resultate der letzten zwei Jahre und meine sportliche Entwicklung. Dennoch kam für mich die Frage auf, wie ich mich auch in Zukunft als Sportler weiterentwickeln kann, und so ergab sich die Zusammenarbeit mit Felix Dieter als Trainer.
Felix hat mir seither schon in verschiedenen Bereichen Tipps geben können und hilft mir stetig, mein Training zu verbessern und neue Methode in den Trainingsalltag einzubeziehen. Eine dieser Methoden ist der «Motorenblock». Im Langlaufsport ist das eine gängige Art eines Trainingblocks, bei dem innert wenigen Tagen viele intensive Einheiten gemacht werden. Wir haben uns dafür entschieden, während sechs Tagen sechs intensive Einheiten zu absolvieren. Dazu eignet sich das Langlaufrennen «La Sfida», eine dreitägige Minitour im Oberengadin. Konkret sah es dann also so aus, dass ich am Dienstag (29.Januar) mit einem Langlauf-Intervall in den Motorenblock gestartet bin. Mittwoch und Donnerstag folgten dann zwei Intervall-Trainings auf der Rolle. Neben den intensiven Einheiten habe ich das Ausdauertraining auf ein Minimum in Dauer und Intensität gesenkt und auch das Krafttraining ein wenig angepasst.
Nach drei von sechs Einheiten stand am Freitagabend der Prolog der «La Sfida» an. In Pontresina wurde bei durch Neuschnee erschwerten Bedingungen im Einzelstart eine knapp 4 Kilometer lange Runde gelaufen. Ich habe sehr schnell einen guten Rhythmus gefunden und konnte so die sechstschnellste Zeit laufen. Auf den Sieger Curdin Perl fehlten mir 35 Sekunden und somit war auch im Gesamtklassement noch alles offen. Das Gefühl war zu meiner Überraschung erstaunlich gut.
Da es die ganze Nacht durchgeschneit hat, musste der Start der zweiten Etappe auf den Nachmittag verschoben und auch die Strecke angepasst werden. Auch am zweiten Tag waren die Bedingungen durch den vielen Neuschnee sehr schwierig. Mit knapp 15 Kilometern stand am Samstag ein deutlich längeres Rennen an. Gestartet wurde im Massenstart und etwa bei Rennhälfte gab es einen Zwischensprint. Dieser Zwischensprint war zugleich auch das Ende meines Aufenthalts in der Spitzengruppe. Von Silvaplana eine kleine Runde und über den See bis nach St.Moritz konnte ich mit Mühe die erste Gruppe halten. Als dann aber die Positionskämpfe um den Zwischensprint begonnen haben, musste ich an fünfter Stelle liegend abreissen lassen und dann alleine zurück nach Silvaplana laufen. Mit dem fünften Platz konnte ich mich auch im Gesamtklassement auf Rang 5 verbessern.
Auch am Sonntag musste die Strecke angepasst werden, und so wurde beim Hallenbad in St.Moritz gestartet und dann ging es über den Stazersee hoch zur Alp Staz, wo bis zum höchsten Punkt gelaufen wurde, bevor es auf einer rasanten Abfahrt zurück nach St.Moritz ging. Der Leader Curdin Perl war am letzten Tag nicht mehr am Start und so bin ich auf Rang 4 im Gesamtklassement vorgerückt, mit nur knapp 35 Sekunden Rückstand aufs Podest. Logischerweise wollte ich nochmals alles versuchen, um vielleicht doch noch aufs Podium zu laufen. Am letzten Tag der Sfida und des Motorenblocks merkte ich doch langsam, dass mir die letzten Tagen ein wenig zugesetzt haben. Ich konnte zwar ein konstantes Tempo laufen, doch blieb die Lücke zu Rang 3 anfangs etwa gleich gross. Und als ich dann auch auf der Alp Staz nicht wirklich näher dran war merkte ich, dass das wohl doch nichts mehr wird. So wollte ich trotzdem nochmals Gas geben, in der Abfahrt dann aber nicht alles riskieren. So bleibt es bei Rang 4 im Gesamtklassement. Jedoch hat mich mein Gefühl ein wenig manipuliert, denn mit der drittbesten Tageszeit gehörte ich doch zu den ganz Schnellen.
Nach diesen 6 harten Tagen ist Erholung angesagt – jedoch nur für ein paar Stunden und das während Zugfahrt und Flug. Denn noch am selben Tag reiste ich mit dem Zug nach Basel von wo aus ich für 7 Tage nach Mallorca ins Trainingslager flog. Adrian Jäggi hatte ich im Sommer am Swissepic kennengelernt und bereits da war es ein Thema, im Winter zusammen ins Trainingslager zu fliegen. Zusammen mit zwei weiteren Athleten der Bike-OL Nationalmannschaft habe ich also 6 sehr gute Trainingstage absolviert. Dies bei bestem Fahrradwetter und sehr guten Bedingungen. Nach dem Motorenblock stand ausschliesslich Grundlage-Training auf dem Programm und so konnte ich auf den in der Radsportszene sehr bekannten Strassen und Pässen auf Mallorca ordentlich Stunden, Kilometer und Höhenmeter auf dem Rennrad sammeln. Nach den sechs umfangreichen Tagen standen ein paar ruhigere Tage zur Erholung an, bevor es dann wieder zurück in den Trainingsalltag ging.