2017

24.September, Ironbike Einsiedeln

Der siebte und letzte Streich

Ich habe gut geschlafen, fast zu gut für eine Nacht vor dem Rennen. Es ist nicht einfach ein Rennen, es ist das wichtigste Rennen der Saison. Die Ausgangslage ist klar: Ich bin Zweiter in der Gesamtwertung, 40 Punkte hinter Remo. Ich brauche also ein Sieg oder den zweiten Rang (sofern Remo nicht gewinnt), um mir den Gesamtsieg noch zu holen. Nach dem ich am Nationalpark erneut von Remo geschlagen wurde, habe ich nicht mehr so an den Gesamtsieg gedacht. Ehrlich gesagt, sind die Chance auch jetzt sehr klein. Es sind wieder einige sehr starke Fahrer am Start, unteranderem Jeremias, der Sieger aus Alpnach. Und ich muss vorne mitfahren.

 

Ich bin noch so ein bisschen verschlafen beim Einfahren und merke doch, dass ich die Tage zuvor ein wenig erkältet war. Nicht sehr schlimm aber so ein bisschen Husten und Schnupfen. Aber ich will nicht klagen, die Saison war lang und ich war nur wenige Male so angeschlagen, dass ich auf das Training verzichten musste. Aber trotzdem lässt mich das meine Hoffnungen ein wenig zurückschrauben.

 

Der Startschuss fällt und es geht endlich los. Die ersten Kilometer geht es mehr oder weniger leicht runter und ich verstecke mich im Feld. Bei der ersten Gegensteigung geht's gleich ordentlich zur Sache und ich muss bereits eine kleine Lücke schliessen, um die Spitze nicht zu verlieren. Doch ab dann bin ich vorne mitverantwortlich für das hohe Tempo, das ist die einzige Chance die ich habe. Ich muss schauen, dass die Spitze kleiner wird und versuchen, so viele Fahrer wie möglich in Schwierigkeiten zu bringen, mit dem Risiko, dass ich zu viel Energie verliere. Bei der ersten längeren Steigung (ca KM20) wird auch die Spitzengruppe auseinander gezogen. Ich kann noch ein Stück mit Jeremias mithalten, muss ihn dann aber ziehen lassen. Aber auch die anderen Fahrer haben Mühe und so kann ich einige wertvolle Sekunden auf Remo herausfahren. Das ist mental sehr wertvoll. In der Abfahrt nach Wilerzell (KM 27) schliesst Sebastian Breuer zu mir auf. Zu diesem Zeitpunkt haben wir etwa eine Minute Rückstand auf Jeremias. In der darauffolgenden Steigung hoch nach Büel (KM37) und die Abfahrt nach Euthal (KM41) bleiben Sebastian und ich mehr oder weniger zusammen. Der Vorsprung auf Remo liegt hier etwa bei einer Minute.

Ich entscheide mich, weiterhin Tempo zu machen und hoffe, dass Sebastian mitzieht und wir dann im Flachstück von Studen nach Unteriberg zusammenarbeiten und im Idealfall Jeremias einholen können. Doch das ist Wunschdenken, Jeremias einzuholen wird sehr sehr schwer. Aber der erste Teil des Plans geht nicht schlecht auf: Sebastian zieht mit bis nach Wisstannen (KM46). In der Abfahrt fährt er voraus und so kann ich seine perfekte Linie nachfahren und wir kommen zusammen in Studen (KM52) an. Wir sind uns schnell einig, denn Sebastian glaubt daran, dass wir Jeremias noch einholen können. Und mir ist das auch recht, so können wir den Vorsprung auf Remo vergrössern. Auch wenn ich Sebastian dann irgendwo noch abhängen muss, um den benötigten zweiten Platz einzufahren. Also wird gebolzt wie die Idioten. Die Ablösungen werden härter und härter und ich merke, dass ich langsam am Limit bin, wieviel geht da noch? Doch kurz vor Unteriberg (KM59) merken wir, dass der Rückstand auf Jeremias nur noch wenige Sekunden beträgt. Wir haben über eine Minute gut gemacht und sind ihm nun zu zweit auf den Fersen. Sein Vorsprung schmilzt und schmilzt und kurz vor Schrähwald (KM62) ergreift Sebastian die Initiative und schliesst die Lücke. Ich nutze die folgenden flacheren Passagen, um mich noch ein letztes Mal zu verpflegen und ein bisschen im Windschatten zu erholen. Ich weiss, dass ich alles riskieren muss, um in der Abfahrt mithalten zu können. Und dann passiert etwas, dass ich im Nachhinein sehr erstaunlich fand. Ohne zu überlegen gehe ich aus dem Sattel und attackiere. Es ist zu 100 Prozent ein Bauchentscheid. Entweder bin ich so nervös, dass ich einfach etwas mache, ohne zu überlegen oder ich habe den richtigen Zeitpunkt inzwischen im Gefühl. Aber es scheint zu funktionieren. Sebastian zieht mit und wir gehen mit etwa 15 Sekunde Vorsprung auf Jeremias in die letzte, technische Abfahrt. Und da geht's ordentlich zur Sache: an einer schwierigen Stelle muss Sebastian einer Fahrerin der kurzen Strecke ausweichen und fährt genau in meine Linie hinein. Ich versuche noch vorbei zu ziehen doch wir kommen beide zu Fall - und Jeremias schliesst wieder auf. Also rasen wir zu dritt auf den letzten Kilometern richtung Ziel. "Alles oder nichts!" geht mir durch den Kopf. Ich kann jetzt die Gesamtwertung gewinnen, aber auch verlieren. In der letzten Gegensteigung attackiere ich nochmals. Ich drücke alles was geht in die Pedale. Mir gehen all die Sprinttrainings mit Micha, die Kämpfe an den Abendrennen und die vielen Krafttrainings im Winter durch den Kopf. Noch ein letztes Mal alles herausholen und die grossen gänge den Berg hoch drücken. Sebastian geht mit und zieht an mir vorbei, doch Jeremias ist hinter mir. Noch 3 Kilometer. Wie viele Stunden habe ich trainiert dieses Jahr, genau für diese drei Kilometer. Jetzt kommen die Krämpfe im linken Oberschenkel, bei jeder Pedalumdrehung werden sie stärker. "Einfach weiter", denke ich mir. Bei der 2 Kilometer Marke schaue ich zurück und kann Jeremias nicht sehen. Das wird reichen für den zweiten Rang und somit für den Gesamtsieg. Unglaublich. Die Krämpfe haben irgendwie nachgelassen und ich kann es geniessen. Es hat sich alles ausgezahlt, jede einzelne Stunde auf dem Bike, jedes einzelne Training.

Die Glocken des Klosters in Einsiedeln läuten zur Mittagszeit als ich mich dem Klosterplatz nähere. Jetzt ist es wahr. Ich habe es geschafft und kann es kaum glauben. Im allerletzten Rennen hole ich mir den Gesamtsieg der Garmin Bikemarathon Classics. Vor der Saison habe ich mir die Top5 als Ziel gesetzt und habe nie mit dem Gesamtsieg gerechnet. Definitiv der bislang grösste Erfolg meiner Karriere.

 

An dieser Stelle möchte ich so vielen Leuten danken. Dem gesamten Berninasport Team für den unglaublichen Support während der ganzen Saison, allen, die mich während der Saison in meinen Trainings begleitet haben, Julbo Eyewear für die gute Sicht im Rennen und Training, allen Unterstützern von meinem I Believe in You Projekt im Winter. Aber ich möchte auch jedem einzelnen danken, der diese Zeilen liest, mich unterstützt, die Rennen mitverfolgt und mich auf meinem Weg begleitet. Aber der grösste Dank geht an meine Familie!

Ihr werdet bald von mir hören...

Grazcha fich,

Fadri


10.September, O-Tour Alpnach

Wenn Mut belohnt wird

Das Rennen in Alpnach gehört definitiv nicht zu meinen Lieblingsrennen und so langsam macht sich die Saisonmüdigkeit bei mir bemerkbar. Demnach hielt sich die Motivation in Grenzen und als ich einen Blick auf die Startliste geworfen habe, wurde sie nochmals ein Stück kleiner. Einige sehr starke Crosscountry Fahrer werden am Sonntagmorgen am Start stehen und mich auf der Strecke mit vielen technischen Abfahrten regelrecht auseinander nehmen. Somit wird auch die kleine Resthoffnung auf den Gesamtsieg verschwinden und ich werde nichts mit dem Rennausgang zu tun haben. Aber Moment, noch ist das Rennen nicht gefahren! So lege ich mir einen Plan zurecht: In der ersten, 13 Kilometer langen Steigung werde ich versuchen so viel Zeit wie möglich rauszufahren, dass ich ein bisschen Reserve für die Abfahrt habe. Die Chance, dass es mich verblässt ist ziemlich gross und ich habe keine Garantie, dass ich überhaupt einen Vorsprung rausfahren kann, aber es ist die einzige Möglichkeit etwas zu reissen.

 

Ich ging das Rennen sehr gelassen an und war für einmal gar nicht nervös. Kurz nach dem Start gab es schon die ersten Fahrer, die Tempo machten. Das kam mir insofern entgegen, dass bereits nach kurzer Zeit viele Mitstreiter abreissen lassen mussten. Doch irgendwann wurde es mir zu langsam und ich fuhr selbst an die Spitze des Feldes, um Tempo zu machen. Bereits nach kurzer Zeit waren wir nur noch zu viert und einige Minuten später sogar nur noch zu zweit. Jeremias Marti war mein „Ausreisser-Kollege“ und wir beide sorgten dafür, dass das Tempo an der Spitze hoch bleibt. Die anderen Fahrer waren ausser Sichtweite. Mein Plan ging bis jetzt auf, doch ich rechnete damit, dass bald mal die Luft draussen ist. „Aber egal“, dachte ich mir und fuhr einfach weiter. Im letzten Stück des Aufstiegs musste ich Jeremias ziehen lassen und werde ihn wohl so schnell nicht mehr sehen. Auch Jonas Stoll überholte mich in der ersten Abfahrt. Ich kam aber einigermassen gut mit den nassen und kühlen Bedingungen zurecht und erst kurz vor dem Langis, kam ein weiterer Fahrer von hinten. Nachdem ich mich schon fast beschwert habe, weil er mich die Führungsarbeit machen liess hat er mir erklärt, dass er nur noch wenige Gänge fahren kann weil er einen Defekt an der Schaltung hat. Er fuhr aber technisch besser hinunter und so zieht er (Simon Brändli) in der Abfahrt davon. Den Langis passierte ich also als vierter. Die letzte lange Abfahrt im Nebel fuhr ich ganz alleine runter, bis Remo Fischer mich im allerletzten Teil überholte. Jetzt kam die Nervosität. Ich bin fünfter und der Leader Remo ist vor mir. Mit vollem Risiko versuchte ich Remos Hinterrad zu halten. Zum Glück kamen noch ein paar Gegensteigungen und ich konnte die Lücke zu Remo schliessen und ihn sogar distanzieren. Kurz später sah ich Simon vor mir konnte schnell zu ihm aufschliessen und ihn überholen. Die letzten kurzen Abfahrten fuhr ich mit vollem Risiko hinunter, den dritten Platz wollte ich nicht mehr hergeben. Am Schluss lief es auf einen Sprint hinaus, den ich für mich entscheiden konnte. Das war er also, der sechste Podestplatz im sechsten Marathonrennen. Ich war überglücklich, denn das Feld war sehr stark besetzt und ich konnte den Abstand in der Gesamtwertung auf 40 Punkte verringern – und immerhin 100.- Preisgeld herausfahren, die ich der vom Bergsturz betroffenen Gemeinde Bondo spenden werde.

 

Die Ausgangslage für das letzte Rennen in Einsiedeln ist klar: Alles oder nichts! Ich habe gar nichts zu verlieren denn der zweite Platz kann mir niemand mehr nehmen. Aber ich werde alles versuchen, um doch noch einmal in dieser Saison ganz oben zu stehen.

 


26.August, Nationalpark Bikemarathon Scuol

Das härteste Rennen der Saison

Der Nationalpark Bikemarathon ist mein persönlicher Saisonhöhepunkt. Dementsprechend war ich in den Tagen zuvor relativ nervös. Noch nie habe ich ein Bikerennen über solch eine Distanz bestritten. Das Rennen war lang, sehr lang sogar. Daher starte ich meinen Rennbericht kurz vor dem Start und möchte euch einen Einblick in meine Taktik und Gedanken vom Rennen geben.

Es ist etwa 7 Uhr also noch gut 15 Minuten bis zum Start. Ich mache noch die letzten Sprints, gehe noch mal hinter einen Baum (Gewichttuning oder so...) und begebe mich dann langsam in den Startblock. Ganz zu vorderst darf ich einstehen und ich fühle mich irgendwie ganz gut, sehr ruhig und überhaupt nicht nervös. Der Start erfolgt dann irgendwann um 7:17 oder so und endlich geht dieses Rennen los - jetzt muss ich nur noch fahren. Die ganze Vorbereitung mit Ernährung, Erholung, Training etc. ist vorüber und jetzt kommt quasi das Resultat, auf den nächsten 103 Kilometern rund um den Nationalpark.

Nach dem Start lasse ich es erst mal gemütlich angehen, es bleibt sogar noch Zeit, um ein paar Worte mit den anderen Fahrern zu wechseln. Aber schon bald folgt die Steigung zur Alp Mora. 2 Fahrer befinden sich etwa 20 Sekunden vor mir und meiner etwa 20 Mann starken Gruppe, mit dabei auch mein Trainingskollege Micha Steiner, der nach seiner Verletzung sein allererstes Bikerennen bestreitet. Wir schauen uns an und wissen beide was jetzt passiert: Micha schliesst zu den 3 Fahrern auf, das war irgendwie abgesprochen. So oft haben wir uns verschiedene Rennverläufe ausgedacht und dann eine Taktik zurecht gelegt. Es war eigentlich gar nicht so ernst gemeint, mehr so "Übung für den Ernstfall" (wenn wir dann mal ein Radteam führen, aber das ist eine andere Geschichte...). Auf alle Fälle machte sich Micha auf, die zwei Ausreisser einzufangen. Für mich war jetzt klar, dass ich nicht für das Tempo sorgen werde. Micha wird seine Arbeit vorne machen und ich kann mich hinten noch ein wenig ausruhen. Ja ich versuche sogar aktiv das Tempo tief zu halten.

Auf der Alp Mora ist Micha mit seinen 2 Mitstreitern etwa 30 Sekunden vor mir und noch etwa 7 anderen Fahrern. Es bleibt kurz Zeit für die Verpflegung und dann geht es in die Abfahrt. Ich bin zufrieden mit der Situation und fühle mich noch sehr gut. Aber das Rennen ist noch lange und jetzt geht es in die Abfahrt, meine Schwäche. Ich versuche einfach dran zu bleiben, was mir irgendwie so gelingt und am Ende der Abfahrt kommt es zum grossen Zusammenschluss. Wir sind jetzt eine grosse Spitzengruppe, mit dabei auch Micha, Remo Fischer und Pascal Kiser.

Micha und ich sprechen uns kurz ab und wissen auch jetzt was wir tun: Micha macht wieder Tempo und ich versuche defensiv zu fahren und zu schauen, was Remo (Leader) macht. Und diesesmal geht Remo mit. Also bleibe ich auch dran, genau wie Pascal und ein weiterer Fahrer. Auf der Alpisella sind wir nur noch zu 5. Doch Remo, Pascal und der fünfte Fahrer sind zu schnell für Micha und mich und als Micha in der schnellen Abfahrt direkt vor mir stürzt ist die Lücke endgültig aufgerissen. Doch ich kann nicht einfach an Micha vorbei fahren, als wäre nichts geschehen. Aber er steht schnell wieder auf und wir sind wieder voll in der Abfahrt. Doch bis in die Fläche bei Livigno verlieren Micha und ich etwa 1 Minute auf die Spitze und eine weitere Gruppe kann zu uns aufschliessen. Und auch jetzt wieder dasselbe Spiel: Micha geht aus dem Sattel und ich weiss ganz genau was er damit sagen will: "Chum Fadri, mer töffed uf de Flächi und fahred d Lücke zue". Gesagt getan, oder besser gesagt: "Gedacht versucht". Wir schaffen es nicht ganz die Lücke zu schliessen und bei der ersten Steigung - noch vor dem Aufstieg zum Chaschauna - muss ich Micha ziehen lassen. Was ich in diesem Moment denke, will ich hier besser nicht niederschreiben.

Ich sehe Remo, Pascal und Micha vor mir, das wäre ja nicht so schlimm. Aber ich sehe auch diesen unglaublich steilen Chaschaunapass vor mir. Ok ich bin blau, und das vor dem grössten Berg des Tages. Naja, ich erinnere mich an meine Italienisch-Matura und versuche aus der nicht ganz idealen Situation doch noch was heraus zu holen. Pascal kann ich schon ziemlich bald ein- und überholen. Micha habe ich immer etwa 10 bis 20 Sekunden vor mir und Remo sehe ich wohl vor dem Ziel zum letzten mal, denn ich weiss, dass er in der Abfahrt auch noch die eine oder andere Minute rausfahren wird. "Kann man an Überanstrengung sterben?", frage ich mich an einer dieser unglaublich steilen Stellen. Wahrscheinlich schon, aber das ist irgendwie nur so eine halbgute Lösung. Darum entscheide ich mich, noch nicht zu sterben und weiter zu fahren. "Solange Micha fährt, steige ich nicht vom Bike!" Und so schliesse ich beim Rifugio auf Micha auf und wir nehmen den letzten Teil gemeinsam in Angriff.

Die Abfahrt und vorallem wie ich sie runterfahre könnte ich nur mit unschönen Worten beschreiben. Pascal hat uns schon lange überholt und Micha und ich kämpfen uns irgendwie runter nach S-chanf. Er motiviert mich, ich motiviere ihn, denn wir sind beide blau wie Schlümpfe. Aber wir wissen, dass wir gemeinsam die besseren Karten haben im Teil von S-chanf nach Lavin. Wir beginnen wieder zu "bolzen" bis Micha einen Defekt an seinem Wechsler beheben muss. Noch vor Zernez endet unsere Teamarbeit. Aber ich bin jetzt voll im Tunnel und möchte immerhin Pascal noch einholen und mir den 2.Platz sichern. Ich höre meinen Namen so oft, sei es am Streckenrand oder von den Fahrern und Fahrerinnen von den kürzeren Strecken, die ich überhole. Das pusht extrem und noch vor Guarda, kann ich Pascal überholen. Doch das Rennen ist erst im Ziel fertig. So gebe ich in jeder Steigung nochmals alles und muss auch in der Abfahrt ziemlich viel riskieren. Doch am Ende reicht es für Rang 2 mit einer Zeit von 4:33:01 (sofern diese Stimmt...).

Danke allen, die an diesem Erfolg beteiligt sind und hinter mir stehen.

Jetzt sind es nur noch zwei Rennen, und wir werden sehen, was diesen noch bringen! Bis bald!


13.August, Eiger Bike Challange Grindelwald

Immer wieder Eiger

Grindelwald und das Rennen am Fusse des Eigers hat für mich eine spezielle Bedeutung. Ich konnte dort meinen ersten Sieg feiern (2014 bei den Junioren) und fuhr letztes Jahr auf den dritten Rang bei den Herren Fun. Doch auch die Strecke, die mir sehr liegt, und die Stimmung tragen mit dazu bei, dass das mein Lieblingsrennen ist.

In diesem Jahr reiste ich mit meiner Familie bereits eine Woche früher in die Junfrauregion. In Böningen auf dem Campingplatz versuchte ich mich so gut wie möglich auf das Rennen vorzubereiten. Das Leadertrikot war mein Ziel. Als Zweiter in der Gesamtwertung gar nicht so unrealistisch, für die Overallwertung am Rennen rechnete ich mir aber nicht so gute Chancen aus, zu langsam waren meien Zeiten in den Vorjahren - noch nie konnte ich die magische 3 Stunden Grenze knacken. So ging es also am Samstag nach 5 Tagen Ferien hoch nach Grindelwald. Dort bin ich mit Luca noch kurz ein paar Minuten aufs Bike, bevor wir dann am Abend im Hotel Eiger Pasta futterten bis zum geht nicht mehr. Nach einer für "Vor-Renn-Nacht" Verhältnisse sehr guten und schlafreichen Nacht ging es los...

Ich stehe auf und wie immer schaue ich erst mal zum Fenster raus. Das Wetter scheint gut zu werden, es ist trocken. Nach eine kurzen BlackRoll-Session gehe ich mit Luca zum Frühstück. Ich bin sehr nervös und habe irgendwie keinen Hunger. Ich mag nicht viel essen und doch versuche ich irgendwie genug zu essen, dass ich die 55 Kilometer und 2500 Höhenmeter gut überstehen werde. Habe ich mich wirklich gut vorbereitet? Stimmt die Form noch? Ich bin irgendiwe unsicherer als vor anderen Rennen, vielleicht habe ich die Ziele zu hoch gesteckt? Ach egal, einfach fahren, dann wird man sehen wies lauft! Also gehen wir zum Einfahren und kurz danach an den Start. Um 7:45 fällt der Startschuss und ich reihe mich irgendwo an 20 Stelle ein. Durch das Dorf ist das Tempo sowieso immer hoch, es gibt genug die sich da mal präsentieren wollen. Nach der "Show-Fahrt" durchs Dorf setzt sich unser Leader an die Spitze des Feldes und schlägt ein ordentliches Tempo ein. Ich gehe an zweiter Stelle mit und merke, dass ich gut mit mag, sehr gut sogar. Nach einer Weile schaue ich mich um, und merke, dass wir nur noch zu viert sind. Micha, der Leader, Remo, Kevin und ich - 4 junge Fahrer. Na gut! Für mich passt das Tempo, also fahre ich mit! Bis zur Grossen Scheidegg wird der Abstand immer grösser und wir harmonieren gut, alle haben das gleiche Ziel: So viel Zeit wie möglich auf die routinierten Fahrer rausfahren, die gegen Ende meistens noch etwas gut machen können.

Remo und ich wollen die anderen zwei in der Abfahrt abhängen, was uns nicht ganz gelingt. Im Gegenteil: Ich muss Micha und Remo ziehen lassen, nachdem ich in der Abfahrt vom First zu verhalten fahre. Erst im Aufstieg zur Bussalp kann ich die Lücke schliessen und Micha gleich abhängen. Also bleiben vorerst mal Remo und ich übrig. Ich merke schnell, dass ich aufwärts stärker bin, jedoch abwärts Zeit verliere. In der Abfahrt vom Bussalp verliere ich meinen Bidon. "Ohje, jetzt wirds hart!", denke ich mir. Denn bis zur nächsten Verpflegung geht's etwa 20 Minuten, bis hoch nach Bort, wo mein Vater steht sogar 40 Minuten. Ich muss einen Bidon suchen und bereits nach kurzer Zeit erhalte ich von einem sehr hilfsbereiten Zuschauer einen Bidon, ohne diesen wären wohl bald die Krämpfe gekommen. Jedoch hat Remo noch immer einen Vorsprung von etwa 1 Minute, wie  mir immer wieder zugerufen wird. Doch ich sehe ihn, und bald kommt der Aufstieg nach Bort mit dem Bergpreis. Doch jetzt komme ich langsam an die Grenzen. Ich bin voll am Limit doch der Abstand wird kleiner und kleiner. Die Zuschauer flippen komplett aus, was mich motiviert bis in die Haarspitzen. 10 Meter nach dem Bergpreis kann ich Remo ein- und überholen. "Jetzt einfach weiter Gas geben, Zeit gutmachen". Denn in der Abfahrt wird er sonst wieder vorbeiziehen.  Also mache ich das und versuche in der Abfahrt eine gute Linie zu *BAMPF*... schon hats mich hingelegt. Ich schnappe Bidon und Bike und versuche so schnell wies geht weiter zu fahren. Doch das Knie schmerzt. Zum Glück kommt ein flaches Stück und ich kann mich ein Moment erholen. "Jetzt musst du auf die Zähne beissen", denke ich mir. Wenn wir zusammen in Grund ankommen, werde ich gewinnen. Das weiss ich und so setzte ich mir das Ziel, Remo in der Abfahrt nicht zu verlieren. Es klappt vorerst, doch im letzten technischen Teil muss ich ihn ziehen lassen. Als ich dann noch beinahe die gesamte Fototechnik eines Fotographen in den Wald versenke merke ich, dass wohl nichts mehr aus dem Sieg wird. Mit den letzten Kräften kämpfe ich mich ins Ziel und muss mich geschlagen geben. Remo war heute einfach stärker und nimmt mir 43 Sekunden ab - und holt sich das Leader Trikot. Aus meinem Traum, am Heimrennen als Leader zu fahren wird nichts.

Doch die Zeit kann sich sehen lassen: 2:51:00 und Rang 2 Overall. Nach dem 125., 18. und 16. Rang in den Vorjahren ist das eine ordentliche Steigerung.


29.Juli, Alta Valtellina Bikemarathon

Kopfsache und Bauchentscheide

Ich bin ja noch nicht so lange im Marathon-Geschäft dabei und so kommt es regelmässig vor, dass ich eine Strecke zum ersten Mal fahre. So war es auch am Alta Valtellina Bikemarathon. Ganz zu meinem Erstaunen erhielt ich im Vorfeld 3 (!) E-Mails, dass ich in der ersten Startgruppe starten kann. Ich freute mich sehr, denn normalerweise muss man gefühlt 200 Bäume ausreissen, das Volumen des Universums ausrechnen und ein Gezeitenkraftwerk bauen, um in einem Startblock weiter vorne zu starten. Also machten wir uns an diesem Samstag auf den Weg nach Italien.

Man merkt sofort, dass man in Italien ist: die Leute sind alle total begeistert, der Speaker brüllt schon 2 Stunden vor dem Start in sein Mikrofon und jeder zweite Athlet sieht aus wie ein Profi (bis auf die unrasierten Beine). Ich war sehr froh, dass ich vorne starten kann, denn die Startblöcke waren schon eine Stunde vor dem Start sehr gut gefüllt. Also ging ich wie gewohnt einfahren und machte mich etwa 15 Minuten vor dem Start auf in den Startblock. Doch noch bevor ich richtig im Startblock war, kam bereits ein Helfer und pflückte mich raus. Er versuchte mir zu erklären, dass ich nicht hier starten könne, sondern weiter hinten. Alles diskutieren brachte nichts, ich musste weiter hinten einstehen. Ich befand mich irgendwo zwischen Rucksackträgern und Bikes mit Schutzblechen. Nicht dass ich jetzt missverstanden werde: Ich finde toll, dass auch solche Fahrer teilnehmen, aber ich gehöre da etwa 800 Fahrer weiter nach vorne. Beim Startschuss ging es mal gut 30 Sekunden, bis wir uns überhaupt bewegten. "Das war's dann wohl", dachte ich mir. Ich versuchte, mich irgendwie so schnell wie möglich nach vorne zu kämpfen und musste dazu immer wieder anderen Fahrern ausweichen, von einigen wurde ich sogar beschimpft, ich solle meine Kräfte einteilen. Doch ich wusste, dass ich den Anschluss so schnell wie möglich finden muss, wenn ich vorne mitmischen will. Die achtköpfige Spitzengruppe staunte nicht schlecht, als ich nach etwa 15 Minuten endlich zu ihnen aufschliess.

Jetzt musste ich aber aufpassen, dass ich nicht zu schnell weiterfahre und dennoch einen guten Rhythmus finde, denn diese ersten 15 Minuten waren alles andere als gut in Hinsicht auf die Krafteinteilung für dieses Rennen über 3 Stunden. Doch irgendwie ging es und ich versuchte, mich vor allem in den flachen Passagen ein wenig zu verstecken.

Bei noch nicht mal Rennhälfte kamen die Fahrer der langen Strecke hinzu, die 2 Stunden vor uns gestartet sind. Das machte es noch viel schwerer, als Gruppe zusammen zu bleiben und wir verloren komplett die Übersicht. Ein Zuschauer bestätigte uns aber, dass wir die ersten 5 der Kurzstrecke sind. Irgendwo bei Kilometer 40 hörte ich auf meinen Bauch und setzte mich in einem Aufstieg von den anderen ab. Ich war also alleiniger Leader und versuchte, mich durchzukämpfen. Doch das Rennen ging zu dieser Zeit noch 24 Kilometer. Ich fuhr dauernd am Limit und musste Fahrer um Fahrer der Langstrecke überholen. In der letzten Abfahrt hörte ich auf einmal, dass von hinten jemand kommt. Es war einer von meiner Strecke. "Verdammt", dacht ich mir, "bleib an ihm dran." Doch das ging nicht, ich war blau und er hatte ein Fully - No way! Ich versuchte, alles auszublenden, einfach, so schnell wie möglich runter zufahren. Doch auf einmal hörte ich einen weiteren Fahrer und wieder hatte er eine rote Startnummer. "Einfach nicht nachlassen, bleib dran!", sagte ich mir erneut. Und diesmal klappte es. Ich gab alles, um das Hinterrad nicht zu verlieren. Die letzten Kilometer waren wieder flach, sogar leicht steigend. Ich wusste, dass es auf einen Sprint herauslaufen wird und so wollte ich keinen Meter führen. Ich war lange genug alleine im Wind und eigentlich auch zu leer um noch mehr zu tun. Etwa 500 Meter vor dem Ziel begann mein Sprintgegner komische Schlangenlinien zu fahren, damit ich nicht vom Windschatten profitiere. Zu diesem Zeitpunkt merkte ich, dass er den Sprint nicht gewinnen wird, er war total auf sich fokussiert. Ein zweites Mal hörte ich auf meinen Bauch, als ich mich etwa 2 Meter zurückfallen liess, 3 Gänge hoch schaltete und den Sprint lancierte. Als ich auf seiner Höhe war und er meine Attacke bemerkte, hatte ich bereits den entscheidenden Tempoüberschuss, doch dann: Kurve. Die hatte ich nicht mehr im Kopf. Aber alles gut, ich kann sie noch ohne Probleme ausfahren und das Tempo hoch halten. Der Blick zurück bestätigt mir, dass es reicht für Rang 2. Unglaublich. Ich habe nicht immer daran geglaubt, aber es reichte dennoch für Platz 2. Und zum ersten Mal gab's Champagner an einer Flower Ceremony. Wie geil! Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Ein Mal wie mein grosses Vorbild aus dem Kindergarten, Michael Schumacher, vom Podium Champagner in die Menge spritzen. Naja, nun eben als Mountainbiker und nicht als Formel 1 Pilot.

Aber dieses Rennen zeigte mir, dass sehr viel im Kopf entschieden wird. Ich hatte am Start mit Abstand die schlechteseten Karten, doch schaffte es bis an die Spitze und am Ende sogar aufs Podest. Ich wusste schon vor dem Sprint, dass ich den gewinnen werde und mein Bauchgefühl liess mich auch heute nicht im Stich. Und ich weiss, dass ich immer noch in Form bin, jedoch werden wir sehen, wie lange diese noch anhält, denn die Saison dauert noch!


30.Juni - 02.Juli, Engadin Bike Giro

Achterbahnfahrt zuhause

Dieses Jahr fand die zweite Ausgabe des VAUDE Engadin Bike Giro statt und ich stand an meinem Heimrennen natürlich wieder am Start. Auch dieses Jahr trainierte ich sehr viel auf dieser Strecke und versuchte, mich so gut es ging vorzubereiten. Die 3 Rennen waren so unterschiedlich, dass ich dazu drei Berichte schreibe. Viel Spass!

Freitag 30.Juni (Prolog)

Endlich ist er da, der Freitag, an dem der Engadin Bike Giro startet. Ich bin bereit, kenne jeden Meter der Strecke, habe meine Helfer und Verpfleger optimal verteilt und freue mich riesig auf die drei kommenden Tage. Dieses Jahr geht's am Prolog vom See in St.Moritz hoch nach Salastrains, rüber zur Chantarella Mittelstation und dann via Marguns auf die Corviglia, bevor es über eine kleine Runde auf der Corviglia und den Olympia Flowtrail wieder zurück ins Ziel auf Salastrains geht. Mit der Startnummer 450 bin ich einer der letzten, der starten wird. Dann geht's los! Ich rolle von der Startrampe und trete voll in die Pedale. Kurz nach der Fussgänger Zone in St.Moritz finde ich einen guten Rhythmus und kann bis Salastrains schon einige Fahrer ein- und überholen. In der kurzen Abfahrt zur Chantarella kann ich mich ein wenig erholen, bevor es richtig zur Sache geht. Ab Marguns werde ich langsam von den besten Fahrern des Tages eingeholt und ich kann bis kurz vor der Corviglia an ihnen dran bleiben. Im ersten Flowtrail muss ich ein wenig Tempo rausnehmen, um auf dem nassen Untergrund nicht zu stürzen und um mich nochmals ein wenig zu erholen für den letzten Aufstieg.

Ich habe noch sehr gute Beine, als es die zweite, steilere Rampe zur Corviglia hoch geht und ich kann nochmals einige Fahrer einholen. Im Olympia Flowtrail muss ich nochmals meine gesamte Konzentration sammeln, um eine möglichst schnelle Linie zu fahren. Im letzten, kurzen Anstieg in Ziel hole ich die letzten Kräfte zusammen und sprinte ins Ziel. Geschafft. Ich bin sehr glücklich und einfach froh, im Ziel zu sein. Mit dem 29. Rang und etwa 7 Minuten Rückstand habe ich mein Top50 Ziel mehr als erreicht. Doch es ist erst Freitagabend. Jetzt gilt es, sich optimal auf den kommenden Samstag und die Königsetappe vorzubereiten. Viel essen, früh schlafen. Um das Bike kümmert sich Pascal - Danke vielmal! Es sind gemischte Gefühle, mit denen ich am Freitagabend schlafen gehe. Ich bin sehr zufrieden mit dem Prolog, aber weiss, dass morgen ein harter Tag ansteht, und ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl im Bauch. Mein Bauchgefühl hat mich bis jetzt selten getäuscht, doch mit dem nötigen Optimismus lege ich mich schlafen und hoffe auf eine gute Erholung.

Samstag 1.Juli

Es ist 5:45, der Wecker klingelt. Ich bin sehr müde und spüre meine Beine. Ich lasse mir Zeit beim Frühstück, wie immer. Doch irgendwie habe ich ein komisches Gefühl im Bauch. Ich lege mich nochmals 10 Minuten hin und stehe nochmals auf. Ich rede mir ein, dass ich bereit bin und fühle mich auch bald so. Kopfsache. Ich gehe lange einfahren und tatsächlich, die Beine fühlen sich gut an, ich bin wach. Um 9:15 fällt der Startschuss und es geht sofort zur Sache. Ich kämpfe um den Anschluss und fahren von Anfang an am Limit und mit Vollgas in die erste Steigung. Gleich in der ersten Abfahrt verliere ich meinen Bidon. "Verdammt", denke ich mir, bis Pontresina, wo mein Vater steht, sind es sicher noch 20 Minuten. Naja, ich versuche eine Gruppe zu finden was mir aber erst kurz vor Pontresina gelingt. Dort erhalte ich meinen Bidon und ich bin in einer 4er Gruppe."Es ist alles gut", denk ich mir. Als Einheimischer kenne ich die perfekte Linie im Trail von Pontresina in Richtung Morteratsch und führe die Gruppe an. Die Komplimente zu meiner Linienwahl der anderen Fahrer motivieren mich, auch in den kommenden Trails eine schnelle und saubere Linie zu fahren und so kommt es, dass die anderen in der Abfahrt nicht mitfahren können. Ich fahre weiter über den Bahnübergang in Morteratsch und höre, wie die Barriere runter geht, kurz nachdem ich drüber war. "Glück gehabt", denke ich mir, doch erst später merke ich, dass das gar kein Glück war. So muss ich alleine bis Pontresina zurück fahren, was sehr viel Kraft kostet. Kurz darauf werde ich von einer grossen Gruppe eingeholt, mit der ich bis zum Stazersee mitfahren kann. Es geht mir immer noch gut. Doch jetzt im Aufstieg merke ich, dass ich denn Anschluss nicht schaffe und zurück falle. Ich weiss aber, dass Claudio Tschenett und Urs Baumann dicht hinter mir sind. In der Fläche zwischen Celerina Staz und San Gian nutze ich die Zeit, um mich zu verpflegen und lasse Claudio und Urs die Lücke zufahren. Claudio sagt mir, dass er nicht führen kann und auch Urs hilft mir nicht und so muss ich fast die ganze Strecke bis Bever alleine führen. Und jetzt merke ich, dass auch ich "blau" bin. In Muntarütsch stehen meine Leute. Mauro und Gian Andri feuern mich nochmals so richtig an und rennen fast 300 Meter mit mir mit. Doch ich bin leer. Der Aufstieg zur Alp Muntatsch war noch nie so hart. Ich kenne diese Steigung wie meinen Hosensack und normalerweise liegt sie mir. Doch heute ist sie eine einzige Qual. Fahrer um Fahrer ziehen an mir vorbei und ich kann einfach nicht mitgehen. Auf der Alp sind so viele, die mich anfeuern, doch ich schaffe es nicht mal, ein Lachen aufzusetzen. Ja das war sie, die berühmte Wand. Die Zeit zwischen Alp Muntatsch und Marguns will einfach nicht vorbei gehen. Ich kämpfe mit mir selbst - auf meinem Heimtrail. So viele Dinge gehen mir durch den Kopf. "Wieso mache ich das?" "Wie soll ich so ins Ziel kommen?" "Was habe ich falsch gemacht?". Irgendwie schaffe ich es bis Marguns, wo Nicolà mit Cola und einem Bidon steht. Ich sage ihm, wie's mir geht und merke, dass es langsam besser wird. Doch dummerweise habe ich die Windjacke abgelehnt, die er mir geben wollte. Zum Glück hat mir Janis Baumann eine Jacke von Urs gegeben. Auf der Corviglia angekommen denke ich mir, dass das Schlimmste vorbei ist. Ich fahre den Olympia Flowtrail (so schlecht wie selten) runter und als ich am Ende bei der Chantarella ankomme, wartet der Hammermann erneut. Nein, nicht nur der Hammermann, die ganze Baufirma steht da und drückt mir den Hammer mitten ins Gesicht. Mir wird schwarz, ich fahre Schlangenlinien. Ich esse, was ich noch finde im Trikot, trinke die Cola und den Booster von Kilian, halte am Verpflegungsstand an und stopfe alles, was ich finde, in mich hinein, fülle meine Trikottaschen voll mit Zopf: so viel Zopf wie für einen Sonntagsbrunch verwendet wird, von einer Familie mit 5 Kindern. Doch den Zopf habe ich nach 5 Minuten gegessen und kämpfe mich irgendwie zur Alp Suvretta. Zum ersten Mal in meiner Karriere denke ich ans Aufgeben. Wie soll ich so ins Ziel kommen? In der Abfahrt muss ich mehrmals fast zu Boden. Ich will einfach nur noch ins Gras liegen, schlafen und essen. Endlich bin ich am See, noch 5 Kilometer. Jetzt weiss ich, dass ich ins Ziel komme, zwar noch nicht wie, aber ich werde es schaffen. Der Malojawind gibt mir noch den Rest aber es klappt, ich komme total erschöpft im Ziel an. Rang und Zeit sind mir so egal, ich bin einfach froh, dass ich es bis ins Ziel geschafft habe. An morgen will ich gar nicht denken. Eine gute Rangierung in der Gesamtwertung habe ich mir verspielt und somit nichts zu verlieren. Jetzt heisst es erholen und nochmals alles für den Sonntag vorbereiten.

Sonntag 2.Juli

Ich habe selten so gut geschlafen wie diese Nacht. Auch heute gehe ich fast 40 Minuten einfahren und beschliesse, langsam zu starten und mich nicht auf den ersten Kilometern zu "verschiessen". Auf der Runde über Isola und Sils bis nach Surlej habe ich mich in einer Gruppe versteckt und nicht viel getan. Erst im Aufstieg zur Alp Staz bildet sich eine kleine Gruppe von 5 Fahrern, mit dabei: Claudio Tschenett. Er muss mich mehrmals bremsen und mir sagen, dass ich noch warten soll mit Gas geben. Doch in Bever habe ich genug und fahre mein Tempo. Schnell habe ich die nächste Gruppe eingeholt und distanziert. In der Abfahrt vom Skilift in Samedan riskiere ich sehr viel und kann weiter Zeit rausholen. Auch im sehr langen Aufstieg zum Fernsehturm und Alp Giop/Alp Suvretta kann ich Zeit gutmachen. Erst auf der Via Engiadina machen sich die Beine bemerkbar und ich muss an einigen Stellen vom Rad steigen. Ich habe aber noch Körner für die letzte Abfahrt und weiss, dass ich gegen vorne nichts mehr holen kann und gegen hinten viel Abstand habe. So will ich einfach ohne Defekt runter kommen und freue mich riesig, im Ziel anzukommen.

Mit dem Rennen am Sonntag kann ich zufrieden sein und so erreiche ich am Ende doch noch den 53.Rang. Knapp am Ziel vorbei doch mit vielen neuen Erfahrungen. Ein riesen Dank an meine Familie für den Support, den Jungs von Berninasport für das reparieren meiner Gabel am Samstag und den Service vor den Rennen, an Pascal für das Putzen von meinem Bike. Ein Dankeschön auch an Sebi, Kili, Ronja, Nicolà, Mauro, Gian Andri, Corina, Chiara, Dani, Colin, Mia, Nadja und und und... ihr habt einen super Job als Fans und Verpfleger gemacht. Und danke an alle Engadiner und Engadinerinnen die irgendwo auf der Strecke den Typ mit der Startnummer 450 und dem Namen FADRI draufgeschrieben als "Einheimischen" erkannten und extra laut anfeuerten. Grazcha fich!


25.Juni, BergiBike Bulle

Das Rennen geht bis zur Ziellinie - und noch weiter

Am Samstag 24.Juni nahmen meine Eltern und ich die lange Reise nach Freiburg mit unserem Wohnmobil in Angriff. Bei sehr heissen Temperaturen und gutem Wetter verbrachte ich den Samstag mit einem kurzen Training in Düdingen, wo wir campierten, und einem guten Abendessen in Freiburg. Nach einer kurzen Planung für den Renntag und den letzten Vorbereitungen ging es früh ins Bett, um für den Renntag bereit zu sein.

Nach langem Einfahren ging es von Anfang an ordentlich zur Sache, denn die Strecke war mit 36 Kilometer und knapp 1000 Höhenmeter sehr kurz. Nach den ersten Kilometern auf den schnellen Trails in den Wäldern zwischen Rossens und Bulle bildete sich bald eine Gruppe von etwa 10 Fahrern an der Spitze des Feldes. Ich versuchte mich so gut es ging zu verstecken und meine Gegner ein wenig zu beobachten. Am Anfang des einzigen längeren Aufstiegs merkte ich schnell, dass ich aufwärts zu den Stärksten dieser Gruppe gehöre. Am höchsten Punkt des Anstiegs war ich etwa 15 Sekunden hinter dem ersten Fahrer und etwa 40 Sekunden vor den beiden Verfolgern. In der Abfahrt und den anschliessenden Flachpassagen musste ich die 2 Verfolger aufschliessen lassen und hoffte, dass wir zusammen den Leader nochmals abfangen können. Doch das gelang uns nicht und so kam es zum Sprint um Platz 2. Ich war gut positioniert und konnte mich auf der linken Seite nach vorne kämpfen, jedoch wusste ich nicht, bei welchem der 4 Luftbögen die Zeitmessung ist und sprintete auf den letzten hin. Die Zeitmessung war jedoch beim vorletzten, weil ich aber ein wenig später über die Startmatte rollte, reichte es dennoch für den 2.Gesamtrang und den 1.Rang in der Kategorie "Lizenzierte". So gesehen ein fast perfektes Rennen. Doch nach der Ziellinie kam der Schreckmoment:

Nur wenige Meter nach dem Zielbogen ginge es scharf rechts um eine Kurve, der Asphalt war noch ein wenig nass und ich rollte mit knapp 50 km/h über die Ziellinie. Ich hatte keine Chance und stürzte auf den Asphalt. Zum Glück blieb es bei Schürfwunden und Prellungen. Stürze gehören zum Radsport, dennoch bin ich immer noch der Ansicht, dass es im Ziel genügen Platz zum Ausrollen braucht, damit auch gefahrlos gesprintet werden kann.

Nichtsdestotrotz bin ich sehr zufrieden mit meinem zweiten Podestplatz im zweiten Marathonrennen und der guten Platzierung in der Gesamtwertung der Garmin Marathon Classics Serie, bei der es Mitte August in Grindelwald weiter geht. Vielen Dank an meine Eltern für den Support und die Unterstützung und an die Jungs von Berninasport, die mein Bike wieder in Ordnung brachten.


3.Juni, Ortler Bike Marathon

Der erste Podestplatz dieser Saison

Ich habe gemischte Erinnerungen an dieses Rennen im Südtirol, das auch dieses Jahr meine Marathon-Saison eröffnete. Vor 2 Jahre konnte ich meinen ersten Podestplatz überhaupt einfahren, letztes Jahr musste ich leider aus gesundheitlichen Gründen passen.

Ich war mit einer guten Vorbereitung ans Rennen angereist und habe mir gute Chance auf eine Top10-Platzierung ausgerechnet. Ich konnte in der ersten Startreihe starten und war somit von Anfang an vorne mit dabei. Bis zur Streckenteilung bei gut 5 km war das Tempo nicht sehr hoch und wir waren immer noch eine grosse Gruppe an der Spitze des Feldes. Doch dann wurde das Tempo langsam erhöht, und immer mehr Fahrer mussten sich von der Spitzengruppe verabschieden, bis eine gut harmonierende Gruppe von 7 Fahrern entstand. Im ersten längeren Anstieg erhöhte der spätere Sieger Johannes Schweigl das Tempo so stark, dass niemand mitgehen konnte. Zwei weitere Fahrer setzten sich ab und so war ich vor der ersten längeren Abfahrt an vierter Stelle. Ganz zu meinem Erstaunen holte ich einen von ihnen in der Abfahrt wieder ein, ich habe also doch Fortschritte im Herabfahren gemacht. Nach dieser Abfahrt ging es gleich wieder aufwärts und während ich mich verpflegte, hat der Fahrer, den ich eingeholt habe, das Tempo erhöht. Erst am Ende des Anstiegs konnte ich ihn wieder einholen und an ihm vorbeiziehen, ich war also erneut an dritter Stelle. In der anschliessenden Abfahrt riskierte ich sehr viel und auf den vielen Asphalt-Passagen kamen mir die zahlreichen Rennrad-Einheiten der letzten Wochen entgegen. Am Schluss des Rennens war es nochmals 5 Kilometer flach und ich wusste, dass der Rückstand auf Platz zwei etwa 40 Sekunden betrug. Also packte ich all meine Zeitfahr-Künste und die letzten Energiereserven aus und bolzte im Tom-Dumolin-Style in Richtung Ziel. Der 2.Platz war in Reichweite und auf den langen Geraden konnte ich den Fahrer schon lange sehen. Als ich etwa 10 Meter hinter ihm war, kam schon die Rechtskurve ins schöne Städtchen Glurns, es ging also nur noch etwa 500 m bis ins Ziel. Ich sprintete voll und riskierte alles in den engen Kurven vor dem Ziel, doch leider kam ich nicht mehr näher heran und überquerte als dritter die Ziellinie. Sofort durfte ich meine ersten Interviews geben, doch leider auf Italienisch, was mir nicht sehr liegt. Es war aber eine tolle Erfahrung und ich bin sehr zufrieden mit meiner Form.

Vielen Dank meinen Eltern für den super Support. Jetzt habe ich nochmals 2 Wochen Zeit, um mich gut auf die nächsten Rennen vorzubereiten bevor dann in Bulle die Schweizer Marathon Serie startet.


23.April, Proffix Swissbikecup Haiming

Nach der Hälfte war Schluss

Auch in Haiming war vieles neu für mich: neue Strecke, erstes HC-Rennen und erstes Rennen mit der 80%-Regel - und diese Regel beendete mein Rennen bereits nach 3 von 6 Runden. Doch von vorne...

Am Samstagabend war ich zum ersten Mal auf der technisch und physisch sehr schwierigen Runde. Auf meinen 2 Besichtigungsrunden legte ich gleich Mal 3 Stürze hin. Mit dem "Köpfler" auf der ersten Runde hätte ich im Schwimmunterricht bestimmt eine gute Note erzielt, doch auf dem Bike gegen einen Baum war es nicht ganz so angenehm. Auch die anderen 2 Stürze liessen Spuren an meinem Bike und an mir zurück. Um das schlechte Gefühl auf der Strecke los zu werden, entschied ich mich am Sonntagmorgen früh, nochmals auf die Strecke zu gehen. Dieser Entscheid war sicherlich gut, denn ich fühlte mich nachher viel besser und war einigermassen bereit für das Rennen.

Doch am Start hatte ich extrem Mühe mit zu halten, das Tempo war wieder extrem hoch und ich musste kämpfen, dass ich den Anschluss nicht verliere. Jeder kann sich vorstellen, was passiert wenn ein 80-köpfiges Feld auf einen schmalen Trail zufährt. Ich habe da etwa 2 Minuten im Stillstand verbracht und im Anschluss nur noch sehr wenig an meiner Position ändern können bevor ich nach der 3.Runde aus dem Rennen genommen wurde, weil der Zeitverlust zu gross war (Rückstand grösser als 80% der schnellsten Rundenzeit).

Dieses Wochenende muss ich also definitiv als Lehre anschauen und mich auf die nächsten Rennen vorbereiten.

Vielen Dank an meine Eltern für den super Support!


9.April, Tamaro Trophy Rivera

Saisonstart im Tessin

Sonntag, 10:45, der Startschuss fällt. Endlich beginnt die neue Saison. Das Feld von rund 60 Fahrern startet in die 5 technisch sehr anspruchsvollen Runden, und ich bin irgendwo mittendrin in meinem ersten Crosscountry Rennen als Lizenzierter.

Am Samstagmorgen früh starteten wir mit unserem neuen Wohnmobil in Richtung Tessin, damit ich die Strecke noch abfahren konnte, bevor sie für die Junioren- und Fun-Rennen geschlossen wurde. Eine sehr anspruchsvolle Strecke mit einigen technischen Schlüsselstellen und ohne Möglichkeit sich auszuruhen wartete auf mich in meinem ersten U23 Rennen. Erst seit einer Woche konnte ich auf meinem neuen Bike, dem Merida Big Nine Team, trainieren. Das war eine weitere Herausforderung. Doch ich fühlte mich nicht so schlecht und hatte die Strecke mehr oder weniger im Griff. Nach der ersten Nacht im neuen Wohnmobil war es also soweit...

Ich habe extrem Mühe am Start mit dem horrenden Tempo mitzuhalten und so werde ich gleich mal nach hinten durchgespült. Nach einigen hektischen Passagen bei den Traileinfahrten und Aufstiegen finde ich aber nach etwa einer halben Runde einen guten Rhythmus. Nun heisst es beissen und nicht nachlassen, denn die Beine schmerzen von Runde zu Runde mehr und die Strecke erfordert dennoch volle Konzentration. Ich kann sogar noch einige Plätze gut machen und fühle mich von Runde zu Runde sicherer in den technischen Passagen. In der vierten Runde höre ich, dass der Führende Filippo Colombo bereits auf der letzten Runde ist, wenn er mich überholt ist das Rennen für mich gelaufen. Also muss ich nochmals mehr Gas geben und immerhin vor Colombo diese Runde durchbringen, damit ich das Rennen fertig fahren kann. Dies gelingt mir aber ich merke, dass jetzt nicht mehr viel geht. Nachdem ich feststellte, dass der Abstand gegen hinten auf den nächsten Fahrer gross genug ist nehme ich ein wenig Tempo raus um die letzte Runde sicher ins Ziel zu bringen. Ich überquere die Ziellinie und zeitgleich läuft bereits die Siegerehrung von meinem Rennen. Nun gut, das ist ein wenig deprimierend aber mit einem Rückstand von gut 16 Minuten auf den Sieger und Rang 42 in meinem ersten Rennen auf diesem Niveau bin ich eigentlich zufrieden. Doch die Saison ist noch jung und da ist noch viel Luft nach oben. In 2 Wochen geht's weiter...